Kultur: Lebenserzähler
Harry Rowohlt trank, rauchte, las und erzählte im ausverkauften Waschhaus
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Harry Rowohlt trank, rauchte, las und erzählte im ausverkauften Waschhaus Von Matthias Hassenpflug „Katja, könnte ich bitte noch ein Bier haben?“ Wenn Harry Rowohlt, der nie müde wird zu betonen, er hätte nichts mit dem gleichnamigen Verlag zu tun, auf der Bühne ist, heißt sein einziger Gesprächspartner Alkohol. Und diese Zwiegespräche dauern genauso lange, wie man braucht, um zünftig in einer Kneipe zu versacken. Drei oder vier Flaschen Bier, wenn die dritte Stunde angebrochen ist, auch irischer Whiskey und dazu gut eine Packung Filterlose. So auch im Waschhaus, das mit sicher 200 Harry-Freunden mehr als ausverkauft war. Schausaufen, aber das mit Bildungsgarantie. Denn der fast Sechzigjährige hält unter seiner grauen Mähne und seinem Zottelbart eine ebenso ausgefranste wie langgelockte Bildung verborgen, und mit der meint er es durchaus ernst, mag sich der Saal auch über seine wohl gesetzten Pointen schütteln vor Lachen. Lernen soll man, zum Beispiel, dass der Name des rassistischen Geheimbundes Ku-Klux-Clan vom griechischen Wort für „Ringkreis“ abstammt. Oder dass ein Neurobat ein Seiltänzer und ein Katafrakt eigentlich ein Lanzenreiter ist, sich aber beide Ausdrücke vorzüglich als nicht „justitiable“ Schmähungen eignen, da so unbekannt. Rowohlt ist, wie er angekündigt wurde, wirklich ein „Naturereignis“, die Stimme angenehm tief und doch wandlungsfähig. Wunderbar seine Dialektimprovisationen, beeindruckend sein Sprachgefühl. Rowohlt gehört zu den besten Übersetzern aus dem Englischen. 117 Werke hat er übertragen, darunter Autoren wie Frank McCourt („Die Asche meiner Mutter“), Kurt Vonnegut, David Sedaris und Flann O´Brien. So jemand könnte auch seine Fahrkarte von der Bahn vorlesen, mag mancher denken, auch würde man großartig finden. Und wirklich: zum Soundcheck tut Rowohlt genau dieses: „Abfahrt Hamburg – Dammtor, 14.21 Uhr, Ankunft Berlin – Zoo ...“ Stimme, Timing, Ausstrahlung, und dann noch dieser Typ, der den Penner in der „Lindenstraße“ spielt. Rowohlt ist einer der wenigen Lebenserzähler, für den jede Annotation zu einer sprachlichen Besonderheit ein Exkurs Wert ist. Das heißt, selbst wenn er ein Buch zur Lesung vor sich hat, es kommt unweigerlich zur Abschweifung. Da ist es konsequent, wenn die Fußnoten in dem von ihm verfassten schrägen Büchlein „John Rock oder der Teufel“, das sich Rowohlt von Buchdeckel bis Buchdeckel vorzulesen vornahm, fast mehr Platz einnehmen, als der eigentliche Text über einen Westernheld, der während eines Feuergefechtes plötzlich hungrig wird. Zwischen all dem Spott, mit dem Rowohlt reihenweise Prominente belegt, über Alfred Biolek, die Lyrikerin Sarah Kirsch und den Außenminister, der ganz nebenbei auch eine Fäkalinjurie abgekommt, sitzt da oben vor dem Bierglas auch ein ziemlicher Idealist, ein Linker alter Schule. Jemand, der Gregor Gysi zu seiner Lesung auf Sylt seine Rockerfreunde vorbeischickt, damit sie „nur mal nach dem Rechten sehen“. Harry Rowohlt, hat viele Talente, und er liebt es, mit ihnen verschwenderisch umzugehen. Meisterwerke der Übersetzung, oder Fußnoten und Randnotizen, all das soll seinen Platz in seinem Leben haben. Vielleicht liegt das Rowohlt´sche Geheimnis ganz einfach in seinem phänomenalen Gedächtnis, in dem jede witzige Episode eingraviert ist. Später singt er noch, bereits leicht angeheitert, die Amerikanische und die Hamburger „B-Hymne“. Dann folgen kaum zu verstehende, aber bedrohlich aus der Kehle grummelnde Gedichte des amerikanischen Lyrikers Shel Silverstein, jeweils mit seiner kongenialen Übersetzung. Ein gewaltiger Abend, getreu nach einem irischen Sprichwort: Betrunken ist man, wenn man nicht mehr ohne fremde Hilfe auf dem Rücken liegen kann.
Matthias Hassenpflug
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