Kultur: Lebensfreude ohne Ende mit Giora Feidman
Bescheiden steht er an einer der hinteren Bankreihen, blickt freundlich auf das defilierende Publikum. Wer ihn erkennt, dem schenkt er gleich einem aufmerksamen Gastgeber ein nettes Lächeln und schreibt ihm, nach hebräischer Überlieferung von rechts nach links, seinen Namenszug auf das dicke Programmheft: Giora Feidman.
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Bescheiden steht er an einer der hinteren Bankreihen, blickt freundlich auf das defilierende Publikum. Wer ihn erkennt, dem schenkt er gleich einem aufmerksamen Gastgeber ein nettes Lächeln und schreibt ihm, nach hebräischer Überlieferung von rechts nach links, seinen Namenszug auf das dicke Programmheft: Giora Feidman. Wieder einmal ist der Meister des Klezmer und der Klarinette auf Wintertournee durch Deutschlands Kirchen. Am Freitag machte er, diesmal zusammen mit dem Gershwin Streichquartett, Station in der überfüllten Erlöserkirche. Namensgeber des Viererverbundes ist nicht der berühmte amerikanische Komponist George G., sondern Primarius Michel Gershwin, der zusammen mit Natalia Raithel (2. Violine), Juri Gilbo (Viola) und Kira Kraftzoff (Cello) diese russisch stilgeprägte Spielgemeinschaft bildet.
Es ist seit Jahren stets der gleiche Auftrittsbrauch. Leise, ganz von fern wehen Klarinettentöne in das Kirchenschiff. Die Klagelaute werden kaum lauter, als der noch nicht ganz 75-jährige Kultmusiker Giora Feidman den Weg durch die Mitte zum Altarraum beschreitet. Obwohl man um das Ritual weiß, überrumpelt es noch immer die Sinne. Unglaublich, wie da was am Rande des fast Unhörbaren erklingt. Es sind nicht nur bestechend seelenvolle Tonfolgen, sondern Verkündigungen eines Lebensgefühls. Später wird er in Denglisch verkünden: „Meine Musik – das ist ein bisschen von da und da, eine lecker Melodie, die Menschen auch ohne große Worte verstehen.“ Und so verbindet er in seinem Programm Klezmer mit Klassik zu einer mitreißenden Mischung, die keine stilistischen Grenzen kennt.
Die Titel fließen nahtlos ineinander. So folgt seinem klagenden Solo-Entree das nicht minder stimmungsvolle Gershwinsche „Lullaby“ für Streichquartett, bei dem sich die einzelnen Stimmen gleichsam improvisatorisch zusammenfinden. Eine weich getönte, zart angestimmte, klare und innig intonierte Musik, die aus den Herzen der Musiker kommt und die Seele der Zuhörer umweglos erreicht. Dann bläst der Meister eine traditionelle Shabbat Melodie, der ohne Pause das religiöse Klagegebet „Le Grande Nigun“ von Peter Breiner für Klarinette und Streichquartett folgt. Nahtlos gehen die Klänge in ein Stück aus der Suite „Im chassidischen Modus“ von Gil Aldema über.
Hier wie dort werden die Stücke vom legendären Können Giora Feidmans geprägt. Seine Klarinette kann beschwingt tanzen, knarzen und krächzen, wimmern und weinen, klagen und greinen wie ein Kind, lachen, kichern und schnattern – sie kann alle erdenklichen menschlichen Gemütslagen auf vergnüglichste Weise zum Ausdruck bringen. Köstlich, wie er klarinettistisch das keifende Gezänk von Tochter und Schwiegermutter (alias zwei Geigen) anstachelt. Funkelnd und virtuos erklingt a quinto die arrangierte Rumänische Suite Nr. 1 von George Enescu mit ihren stilsicher imitierten Zymbal- und Dudelsackklängen, einer in die Höhe strebenden lerchentirilierenden Stretta.
Nicht weniger vergnüglich hören sich die Vier Miniaturen für Streichquartett des Georgiers Sulchan Zinzadse an, in denen die kaukasische Folklore fröhliche Urständ feiert. Schmachtend singt Suliko ihr Lied, wird äußerst virtuos die schnelle sechsachteltaktige Lesginka getanzt. Als eine sehr vergnügliche, frech bis frivol arrangierte Gershwin-Mischung entpuppt sich „By George!“, in der das Klarinettenglissando der „Rhapsody in blue“ genauso wenig fehlt wie Zitate aus „Porgy and Bess“ und „An American in Paris“. Anhaltender Bravojubel. Peter Buske
Peter Buske
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