Kultur: Lebensfreude und Fortissimo
Benefizkonzert II: Essex Youth Orchestra
Stand:
Auf Potsdam herabblicken soll ab 2009 möglich sein. Aus zweiundvierzig Metern, vom Kolonnadendach der Nikolaikirche. Behütet und umschönt von einem Palmettenkranz, wird rund um die Kuppel ein Aussichtsrundgang entstehen. Jedoch nur, wenn die in Kupfer getriebenen, stilisierten Palmwedel auch angebracht sind – 98 an der Zahl. Jeder kostet 1500 Euro. Darüber hinaus soll eine Ausschmückung aus kleineren Palmetten direkt am Fuß der Kuppel angebracht werden, pro Stück mit 1350 Euro veranschlagt. Zur Finanzierung dieses Schmuckes sind Sponsoren, Palmetten-Patenschaftler und anderen Geldgeber gefragt. Benefizkonzerte wollen ihr Scherflein beitragen. Das Jugendorchester der englischen Grafschaft Essex, 1957 gegründet, von professionellen Musikern unterrichtet und längst zu den führenden Klangkörpern seiner Art zählend, stellte sich am Freitag in St. Nikolai in den Dienst der guten Sache.
Von den insgesamt 78 Musikern, deren Zahl sich mit der des Publikums in etwa die Waage hielt, saßen die Bläser oberhalb der Treppenstufen, der Streicher-„Rest“ vor den Altarstufen. Ein gewaltiges Aufgebot, das zu mancherlei Mutmaßungen betreffend der erwartbaren Lautstärke Anlass gab. Es enttäuschte nicht. Und ließ spätestens im Finalsatz „stürmisch bewegt – energisch“ von Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 1 D-Dur wahrlich die Fetzen fliegen.
Kraftstrotzend, geradezu martialisch entfesselten die Musiker unter der sparsamen und präzisen Zeichengebung von Robin Browning die Aufbäumungen der sich zu einem hymnischen Choral bündelnden Themen, allen Tücken der Akustik trotzend. Natürlich gab es bei solcher Fortissimo-Orgie nur noch undefinierbaren Klangmischmasch nebst endlos scheinendem Nachhall zu erleben. Auch ließen Spannung und spielerische Konzentration erheblich nach.
Zuvor hatten die in zwei mehrtägigen Workshops exzellent trainierten Mitglieder des Essex Youth Orchestra ihr brillantes Können auf staunenswerte Weise vorgeführt. Dabei achteten sie stets aufs Befolgen der Vortragsbezeichnungen wie beispielsweise das „langsam, schleppend – immer sehr gemächlich“ für den lastenden Sinfoniebeginn mit seinen effektvollen Ferntrompeten. Bereits hier erwiesen sich die Musiker als überzeugende Spannungsaufbauer und -halter. Statt im üppigen Romantiksound zu baden, befleißigten sie sich beim Zitat „Ging heut morgen übers Feld“ einer Spielweise mit sozusagen britischem Understatement. So klangen die Vogelrufe eher matt als traurig, ehe zu Hörnergeschmetter sich allmählich Lebensfreude die Oberhand gewann. Derb und gewichtig führten sie die Ländlerseligkeit eines österreichischen Dorffestes vor. Die Zwielichtigkeit des Trauermarsches zwischen Groteske und Gassenhauer trafen sie nicht weniger gut.
Dass die Truppe mit ihrer Spielbegeisterung und -kultur manches Profiorchester in den Schatten stellen kann, führte sie gleich zu Konzertbeginn vor. Die Vitalität von Samuel Barbers Ouvertüre zur „School for Scandal“ spielten sie herrlich gelöst, lustvoll und laut: mit hellem und geschmeidigem Streicherklang, mit strahlkräftigem und ansatzsicherem Blech. Nicht weniger gelungen, weil mit gemäßigtem Vibrato und ohne verbissene Inbrunst versehen, ließen sie das Vorspiel zum 1. Aufzug von Richard Wagners „Parsifal“ in schmerzlich-schöner Inbrunst erklingen. Das schwere Blech zeigte sich warmgetönt und füllig, das Publikum dann von seiner beifallsfreudigen Seite.
Peter Buske
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