Kultur: Lebenslanges moralisches Zuchthaus
Martina Gedeck las aus dem Briefwechsel von Emmi Bonhoeffer mit ihrer jüdischen Freundin Recha
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Martina Gedeck las aus dem Briefwechsel von Emmi Bonhoeffer mit ihrer jüdischen Freundin Recha Es gab nichts mehr zu sagen nach dieser kaum einstündigen Lesung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Nichts zu reden, nichts zu diskutieren, nachdem die bekannte Schauspielerin Martina Gedeck den Briefwechsel zwischen Emmi Bonhoeffer und ihrer in Ohio lebenden jüdischen Freundin Recha Jászi zum Auschwitz-Prozess in Frankfurt/Main mit ruhiger und fester Stimme vorgetragen hatte. Essay, Gespräche und Erinnerungen dieser bemerkenswerten Frau hatte das Brandenburgische Literaturbüro, namentlich Sigrid Grabner und Hendrik Röder, kürzlich im Lukas Verlag veröffentlicht. Gestern also war die öffentliche Präsentation dieses wunderbaren Buches, und es kamen ihrer so viele, dass man erst verspätet beginnen konnte. Sigrid Grabner gab eine kurze Einführung, sie stellte auch die Enkel von Emmi Bonhoeffer vor, die extra angereist waren. Woher kommt ein so ungebrochenes Interesse am Schicksal dieses Clans voller berühmter Namen, darunter die von Dohnany und von Liebig, des Hauses Harnack, der Delbrücks, welchem Emmi zugehörte, bevor sie 1930 mit Klaus den älteren Bruder des Theologen Dietrich Bonhoeffer heiratete. Ihr Gatte hatte sich „aus christlicher Überzeugung“ zum Widerstand gegen Hitler entschlossen, zu dessen Ermordung, doch als am 20. Juli 1944 Stauffenbergs Attentat fehlging, flog auch diese Gruppe auf. Die Familie hatte viele Opfer zu beklagen, auch Klaus Bonhoeffer war darunter. So geriet seine Frau nicht nur in einen prominenten Witwenstand, sie tat dann in der Nachkriegszeit alles ihr Mögliche, das Vermächtnis ihres Mannes nach einem besseren Deutschland zu erfüllen. Dazu gehörte auch die Betreuung von Zeugen beim Auschwitz-Prozess in Frankfurt/M. ab 1963, von denen viele gar nicht aussagen wollten, noch immer an Verfolgungsängsten litten und erschreckten, wenn die Verteidiger der Nazis sie beim Verhör in die Enge trieben oder verhöhnten. Emmi Bonhoeffer verstand es als Pflicht gegenüber ihrem Glauben und ihrem Mann, diese Menschen Zuwendung spüren zu lassen, auch Vertrauen in das nun „ganz andere Deutschland“, obwohl sich dieses für die NS-Verbrechen nicht sonderlich zu interessieren schien. Einerseits ist das Erschrecken über die Bestialität ihrer Landsleute, andererseits forscht sie nach Gründen, warum aus „charakterschwachen Gestalten“ solche Verbrecher wurden und welchen Sinn ein solcher Prozess überhaupt habe. Ein Traum bringt die erlösende Antwort: Jedem mündigen Deutschen wird eine Mitschuld an den Verbrechen zugewiesen, die Nation zu „lebenslangem moralischen Zuchthaus“ verurteilt, „denn wir alle haben durch verblendete Nachfolge oder durch zu geringen Widerstand“ Teil an der Schuld, die über Europa und die Juden kam. Kühne, moralische Worte. Wer sie am Sonntag so klar und wohlformuliert durch Martina Gedeck vernahm, spürte wenig Vergangenes, sondern unmittelbare Gegenwart, alles kommt ja zurück, Böses und Gutes: So schreibt sie, jeder der Zeugen konnte einen SS-Mann benennen, von dem Trost oder Hilfe ausging, und in vielen war auch kein Hass gegen die einstigen Peiniger. Im Verurteilen der Täter lag für sie weniger Sinn als in Reue und Sühne, in einer „Reinigung“ der Nation. Die Veranstaltung endete mit Stil und Würde: Hendrik Röder dankte allen kurz für’s Kommen und wünschte einen guten Sonntag. Es gab nichts mehr zum Sagen, die Eindrücke wirkten zu tief. Gerold Paul
Gerold Paul
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