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Von Dirk Becker: Lebenswille in einem Menschenrest

Die französische Compagnie Pseudonymo entführt mit „Imomushi“ in eine alptraumhafte Welt

Stand:

Wie verloren liegt er da. In die Dunkelheit geworfen wie in eine ewige Nacht. Eine endlose Höllenfahrt, die Sunaga fast regungslos ertragen muss. Sunaga ist aus dem Krieg zu seiner Frau Tokiko zurückgekehrt. Oder zumindest das, was von ihm übrig geblieben ist. Ein Rumpf nur noch, ohne Arme, ohne Beine, vernarbt und entstellt, seiner Stimme beraubt. Nur mit seinen Augen und wildem Schaukeln seines larvenartigen Restkörpers, mit dem Aufschlagen des Hinterkopfes vermag er sich bemerkbar zu machen. Ein menschliches Restelend, möchte man denken, das sich nichts sehnlicher wünscht, als zu sterben.

Doch Sunaga will leben. Und das mit einer Entschlossenheit, die fast schon erschrecken kann. Auch wenn sein Leben reduziert bleibt auf Essen, Trinken und Sex und er für all das auf die Hilfe seiner Frau Tokiko angewiesen ist, will Sunaga nicht loslassen. Einer, für den das Töten so lange Handwerk war und der sich nun im wahrsten Sinne des Wortes an sein Restleben mit der hemmungslosen Wildheit des längst Verlorenen klammert.

In „Imomushi“, nach der gleichnamigen Erzählung des japanischen Autors Ranpo Edogawa, ist die Geschichte von Sunaga, seiner Frau Tokiko und dem General Washio als visuelles Theater am morgigen Samstag im Rahmen des heute beginnenden 17. Internationalen Theaterfestivals Unidram im T-Werk zu erleben. Ein 60-minütiger Abstieg mit der französischen Compagnie Pseudonymo in die Tiefen, wo die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Erinnerung, zwischen Traum und Alptraum verwischen. Ob dieser Abstieg nun berauschend oder verwirrend, einfühlsam, abstoßend oder einfach nur nachdenklich macht, muss jeder Besucher selbst entscheiden.

David Girondin Moab, Regisseur der Compagnie Pseudonymo, hält nicht viel von allzu vorschnellen Interpretationsversuchen oder Deutungsangeboten für „Imomushi“. Auch wenn es für manchen naheliegt, aber es gehe in diesem Stück nicht um vordergründige Stellungnahmen zur tagespolitischen Aktualität. Es gehe hier nicht darum, was ein Krieg, ob nun in Afghanistan oder Irak, für Spuren bei Soldaten hinterlässt, sichtbar oder nicht. Es sind metaphysische Fragen, die mit „Imomushi“ angesprochen werden. Es geht um die Endlichkeit des Lebens, die Vergänglichkeit des Körperlichen und unsere Beziehung zum Tod, erzählt David Girondin Moab am gestrigen Donnerstag in einer Probenpause im T-Werk. Und für all das sei Sunaga für ihn das Symbol.

„Imomushi“, wie es von der Compagnie Pseudonymo erzählt wird, lebt vor allem von den Bildern. Es wird in diesem Stück auch gesprochen, doch der Worte, die hier in den dunklen Bühnenraum fallen, sind es nicht viele. Eine Mischung aus Ton und Bild, Licht und Videosequenzen soll eine Atmosphäre schaffen, in der Wirklichkeit und Vorstellung, Traum und Alptraum verschwimmen. Erzählt wird das alles aus der Erinnerung von Tokiko und alles kreist um den traumatischen Moment, als ihr Mann Sunaga aus dem Krieg zurückkehrt, das, was von ihm übrig geblieben ist, bei ihr abgeliefert wird. Bei der Compagnie Pseudonymo ist der Heimkehrer Sunaga nur ein Puppe, ein Objekt, das Leben suggeriert.

Doch von einem normalen Leben kann hier nicht mehr die Rede sein. Auf der einen Seite Sunaga, dieser sprachlose Menschenrest, der aber nicht schweigen und auch nicht aufhören zu leben will. Auf der anderen seine Frau Tokiko, die hin- und hergerissen zwischen Zuneigung und Ekel, Wut und Hingabe in ihrem Schicksal treibt. Dazwischen der rätselhafte General Washio, der das Ringen zwischen Sunaga und Tokiko mit voyeuristischer Hingabe beobachtet.

„Imomushi“ ist dabei auch ein radikales Spiel mit den Reaktionen der Zuschauer, dem Hinterfragen eigener Vorstellungen. Was ist denn dieser Sunaga noch, fragt David Girondin Moab. Eine Kreatur? Ein Monstrum? Eine irreale Person? Oder ist er nur noch etwas zwischen Mensch, Tier und Objekt? Fast tierisch sind seine Reaktionen, wenn er seine Bedürfnisse befriedigt wissen will. Für seine Frau Tokiko ist er oft nur Objekt, mit dem sie umzugehen hat. Und wenn man sich diesen bleichen und vernarbten Rumpf anschaut, kann man Spuren, Erinnerungen an einen Menschen entdecken. Aber vor allem ist dieser Sunaga etwas, das uns verstört, durcheinanderbringt, vielleicht sogar rühren kann. Denn dieser hemmungslose Lebens-, dieser Überlebenswille ist etwas, das wir mit Blick auf diesen Menschenrest nur schwer begreifen, vielleicht sogar nur schwer akzeptieren können.

„Imomushi“ mit Compagnie Pseudonymo im Rahmen von Unidram am morgigen Samstag, 20 Uhr, im T-Werk, Schiffbauergasse. Das Potsdamer Theaterfestival Unidram wird am heutigen Freitag, 20 Uhr, mit dem „figuren theater tübingen“ im T-Werk eröffnet. Weitere Informationen unter www.unidram.de

Dirk Becker

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