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Kultur: Leblose Abfragerei

Bernhard Schlink bei „Klassik plus Gespräch“ im Nikolaisaal

Stand:

Bernhard Schlink bei „Klassik plus Gespräch“ im Nikolaisaal Gute Fragen – gute Antworten, schlechte Fragen – Langeweile. Um die Veranstaltung „Klassik plus Gespräch“ im Nikolaisaal zu einem wirklichen Renner zu machen, welcher das kursiv gedruckte „plus“ auch verdient, bedarf es mehr als das, was über 150 Foyer-Gäste am Donnerstag von Moderatorin Christine Lemke-Matwey vorgesetzt bekamen. Unter dem Schild der Kammerakademie Potsdam stand kein Geringerer als der schreibende Jurist und Bestseller-Autor Bernhard Schlink zur Verfügung, ein interessanter Mann von weltmännischem Format, aber auch ein Dulder, was die beklagenswerte Fragekultur betraf. Sein „Vorleser“ hatte ganz überraschend die literarischen Charts der USA erobert. In einem protestantischen Elternhaus zu Bielefeld 1944 geboren, wuchs er im katholischen Umfeld von Heidelberg auf, wo er auch Jura studierte, Schwerpunkt Verfassungs- und Verwaltungsrecht. Er war Richter des Verfassungsgerichtshofes NRW, arbeitete 1989 in Berlin an der Übergangsverfassung zur Vereinigung mit. Neben seiner Tätigkeit als Landesverfassungsrichter in Münster lehrt er heute öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der HU Berlin. Damit die Klassik nicht zu kurz kam, spielten Mitglieder der Potsdamer Kammerakademie mit großer Anmut zwei Quartette von Mozart, in C-Dur KV 171 (285b) , in A-Dur das dreisätzige KV 298, indes ein Duo des Russen Edison Denissow von 1985 für Flöte (Bettina Lange) und Viola (Christoph Starke) – schlecht erdacht, doch gut gemacht - in seiner Larmoyanz und Gravitation eher aus dem Rahmen fiel. Zusammen mit dem fantastischen Geiger Peter Rainer und Anke Heyn am Violoncello gab das Quartett unbestreitbar die Glanzpunkte des Abends. Die Moderatorin, als Musik-Journalistin daran anknüpfend, fragte, immer nach „Schema W“, wie der vielfache Literaturpreisträger zur Musik gekommen und ob es einen Unterschied zwischen „Hören und Machen“ gäbe. Da wurde Bernhard Schlink verlegen: Er betreibe einfach Hausmusik. Auch zu Rihm oder Denissow hielt er sich eher bedeckt, zeitgenössische Musik spräche schwerer, war seine diplomatische Antwort. So ging es also nicht, doch war das Thema Literatur bei der braven und so kraftlosen Abfragerei nach der Schnur ergiebiger? Bernhard Schlink hatte wirklich auf krude Themen zu antworten: Wann haben Sie mit dem Schreiben angefangen? Sind Sie ein deutscher Dichter? Was ist das Deutsche? Ist „uns“! der 9.11. oder der 11.9. näher? Was sagen Sie zum Kulturabbau in Berlin? Woran arbeiten Sie derzeit? Du liebe Güte, und das einem Mann, bei dem man immer das Gefühl hatte, er mochte trotz Vorabsprache lieber ganz andere Dinge gefragt werden. Die Antworten waren meist kurz, höflich, korrekt: Anders als das Englische gibt ihm die deutsche Sprache viel Möglichkeit, mit ihr zu spielen, gemessen an der Kulturöde in Übersee halte er die hiesige Situation durchaus für erträglich, denn Berlin habe noch immer viel mehr Angebote, als man sie wahrzunehmen vermochte. In den etwas kleineren Uni-Städten sähe es freilich betrüblicher aus. Offenbar ist er ein glücklicher Mann auf zweierlei Wegen. Seine Juristerei macht ihm noch immer Vergnügen, doch wenn er Gelegenheit hat, dann schreibt er Romane – oder wie eben jetzt, an einem Drehbuch. Und was bringt er seinen Studenten bei? „Recht steht in seiner Positivität begründet da“, trotzdem gäbe es auch hier genügend „Spielraum“, um herauszufinden, wie „etwas gerechter, technisch hübscher oder pfiffiger aussehen“ könne. Auch ein Jurist brauche Fantasie, beim Auffinden eines Urteils wie beim Abfassen von Fachartikeln, welche er gern lebendiger wüsste, wie unsereiner das, was am Donnerstag nirgendwo ein „Gespräch“ gewesen. Wo immer auch, Bernhard Schlink liebt es, etwas Schwebendes festzumachen, beim Schreiben wie in der Rechtsfindung. Tja, artigen Fragen folgen eben artige Antworten. Vorbei die Zeit, wo Sokrates mit seiner Technik Freund und Feind bewegte. Wenn sich heute in Sachen „Talk“ mal etwas rührt, dann geht das garantiert von unterforderten Gästen aus, fast nie von der Moderation. Aseptische Höflichkeit, Erstarrung vor den Berühmten, Small talk überall. Was sollte sich da wohl bewegen? Gerold Paul

Gerold Paul

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