Kultur: Leichthändiges Lustwandeln
Internationaler Orgelsommer mit Gottfried Preller aus Arnstadt in der Erlöserkirche
Stand:
Internationaler Orgelsommer mit Gottfried Preller aus Arnstadt in der Erlöserkirche „Alß sollet Ihr zu rechter Zeit an denen Sonn- und Festtagen in obbesagter neuen Kirchen bey dem Euch anvertrauten Orgelwercke Euch einfinden, solches gebührend tractiren, darauff gute Acht haben und es mit allem Fleiß verwahren“, steht in der im August 1703 ausgefertigten Bestallung des 18-jährigen Johann Sebastian Bach als Organist an der Neuen Kirche zu Arnstadt. Wenn an der gerade erbauten Wender-Orgel, die Bach zuvor als Sachverständiger einer ausgiebigen Prüfung unterzieht, „etwas wandelbahr würde“, habe er es zu melden, damit „die nöthige Reparatur beschehe“. Das Instrument verfügt über zwei Manuale und 63 Register. Durch die Zeitläufte hinweg hat es sich verschlissen. Gottfried Preller, seit über zwanzig Jahren Kantor und Organist der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde in Arnstadt und mit dem Titel eines Kirchenmusikdirektors ausgezeichnet, hat die Rekonstruktion dieser Orgel im 1935 zur Bach-Kirche umbenannten Gotteshaus in die Wege geleitet. Als Gründer des Arnstädter Orgelsommers, der sich inzwischen zum Thüringer Orgelsommer e.V. geweitet hat, gibt er nun beim Internationalen Orgelsommer Potsdam 2003 seine vielbeachtete Visitenkarte ab. Die Vita des 1948 in Weimar Geborenen lässt erkennen, dass er fest mit der thüringischen Musiktradition verwurzelt ist. Und so steht folgerichtig Bach und sein Werk im Mittelpunkt dieser einstündigen Begegnung. Von Arnstadt aus begibt sich Bach auf die Wanderschaft nach Lübeck, wo er Dietrich Buxtehude, den Organisten an der Marienkirche, kennen lernt. Was liegt einem Arnstädter KMD also näher, seine Bach-Hommage mit einem Buxtehudeschen Orgelstück zu beginnen?! Es ist die Passacaglia d-Moll, der Gottfried Preller eine klangliebliche, gleichsam kammermusikalische Deutung angedeihen lässt. Kantabel breiten sich die ersten Variationen über dem Fundament eines gleich bleibenden Basses in gedeckten Stimmen aus. Hinzutretende schärfliche Stimmen schaffen reizvolle Kontraste. Daraus entsteht eine aufreizende Steigerung. Sie fällt alsbald in ein ermattendes Klangbild zurück. Wie auch Bach die Passacaglia-Form wendungsreich variiert, zeigt sich in seinem entsprechenden c-Moll-Stück BWV 582. Über dem ostinaten Thema errichtet er ein prächtiges, figurenreiches Klanggebäude. Wochen zuvor nahm sich der russische Organist Alexander Fiseisky im Rahmen des Orgelsommers des Werkes an. Seine Zuhörer führte er gleichsam durch die barocküppigen Zimmerfluchten des Schlosses von Zarskoje Selo. Dagegen durchwandelt Gottfried Preller vergleichsweise schlichte Räume, in denen sich die Ernsthaftigkeit der Gedanken, ihre Innigkeit und Tiefen, ganz unvermittelt und ohne Überrumpelungsstrategie einstellt und ausbreiten kann. Schon das Entree zeigt sich sehr ausgewogen: zwischen 16-füßigem Subbass und den Melodieverzierungen im Diskant klaffen keine Kontraste. Leichthändig verweist er auf des Stückes Schönheiten, gibt dem Betrachter Zeit, sie zu genießen. Aus dem wie improvisatorisch wirkenden Beginn gewinnt er der Passacaglia ihre strukturelle Standfestigkeit, die er zu festlicher Erhabenheit steigert. In der prinzipalbestimmten Fugenherrlichkeit erfährt sie ihre glanzvolle Krönung. Aus der Sammlung von „18 Orgelchorälen aus der Leipziger Originalhandschrift“, von Bach zwischen 1747 und 1749 angelegt, spielt Gottfried Preller „Schmücke dich, o liebe Seele“ BWV 654, „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend“ BWV 655 und „Nun danket alle Gott“ BWV 657 mit jener innigen Verhaltenheit und gedanklichen Schlichtheit, die dem Inhalt der Stücke entsprechen. Aus Sifflöte und Rohrflöte entstehen filigrane Stimmenmixturen, aus Tremulant und Vox humana der Eindruck frommer Ergebenheit. Wie wirkte Bach auf die Nachwelt, beispielsweise auf Robert Schumann? Der setzt sich in seinen Sechs Fugen über B-A-C-H op. 60 mit der kontrapunktischen Materie des barocken Tonsetzers auseinander. Der Arnstädter Organist lässt die ersten vier Monologe getreu ihrer Vortragsbezeichnungen „langsam“, „lebhaft“, „mit sanften Stimmen“ und „mäßig, nach und nach schneller“ als klangmalerische Studien erklingen. Sie zeigen sich hellgetönt und fast beschwingt hüpfend, zurückhaltend, liedhaft und fast zärtlich, aus dem Dunklen ins Helle strahlend. Diverse Tongebilde erhalten bisweilen dissonanzengeschärfte, klangscharfe und grelle Konturen. Für die Reise zu Bach fällt dem auskunftsfreudigen Cicerone herzlicher Beifall zu.Peter Buske Nächstes Orgelsommer-Konzert in der Erlöserkirche: 20. August, 19.30 Uhr, mit Gerald Gillen (Dublin/Irland).
Peter Buske
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: