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Kultur: Leichtigkeit

Urania-Konzert mit Muzet Royal in Marquardt

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Da war die „Urania-Familie“ von ihrer eigenen Größe überrascht. Über 200 „Familienmitglieder“ des Potsdamer Kultur- und Bildungshauses waren der sommerlichen Einladung nach Marquardt gefolgt. Familiär auch die Stimmung auf der Terrasse des Schlosses bei Bratwurst und Bier, bevor das Konzert der drei Instrumentalisten von Muzet Royal im Tanzsaal nebenan begann. Zusätzliche Bierbänke mussten eilig herbeigeschafft werden, jeder freie Platz wurde ausgefüllt. Schon im vierten Jahr erweckt der Urania-Verein das „Rokoko“-Schloss für ein Sommerkonzert zum Leben. Das einst herrschaftliche Haus ist in einem Zustand, dem man gewöhnlich einen „morbiden Charme“ zuschreibt. Abgewetzter Holzboden, stumpfe, abblätternde Wandfarbe in einem deutlich durch die Jahrzehnte abgedunkelten Rosé.

In die Jeder-kennt-Jeden-Stimmung hinein fügte sich die Ehrung des Vereinsvorsitzenden Hans Oleak durch die Leiterin Katrin Flegel zu seinem 76sten Geburtstag. „Ein so voller Saal ist mir zum Geburtstag noch nie passiert“. Der beliebte Vorsitzende, der sogar die Internetseite des Veranstaltungshauses pflegt, war gerührt vom umarmenden Applaus.

Dann standen die jungen Damen des Berliner Trios Muzet Royal auf der Saalbühne. Und viele der meist älteren Gäste werden dabei erstaunt festgestellt haben, dass die harten Bierbänke, auf denen gut zwei Stunden ausgeharrt wurde, ihren schmerzhaften Charakter verlieren können, sofern so anregend musiziert wird, wie hier erlebt. Die Leichtigkeit des Programms aus Tangos, Musetten und Zigeunerweisen, wie das Trio ihr Repertoire benennt, war wie ein wertvolles zusätzliches Ornament zu den Goldverzierungen und Wildrosenstuckaturen, die den Raum ausschmücken.

Als die Sonne langsam über dem See unterging und Muzet Royal die Führung des in Bann geratenen Publikums übernommen hatte, wünschte sich wohl so manch wippender Schuh und manch mitsummender Sitznachbar, die Bänke wären beiseite geräumt, damit die ebenso in Wallung geratene Begleitung über das Parkett gehoben werden könne. Die drei Damen spielen tatsächlich häufig zum Tanze auf. „Auch gleich nebenan“, erzählte die unterhaltsam in die Stücke einführende Akkordeonistin Sirid Heuts, "in Berlin." Und zwar zum Museumsinselfest am 18. August.

In der konzertanten Variante steht Heuts mit ihrem Akkordeon im Mittelpunkt der durchweg gefühligen Interpretationen. Den Unterschied zu ihren Kolleginnen an Violine und Bass werfen die beiden Bauscheinwerfer gut sichtbar als Schattenspiel an die Wand. Während Heuts sich den Melodien hinzugeben scheint und ihre Schatten an der Wand dahinwogt, beinahe wie eine Flamme lodert, stehen Bass (Daniela Petry) und Violine (Ulrike Dinter) ruhig wie zwei menschliche Säulen. Sie tragen gekonnt und präzise den von Heuts im Temperament vorgegebenen Weg, ähnliche Leidenschaft wollen sie nicht entwickeln. Das Programm vereint bekannte Melodien wie den schon prototypischen Tango „La Cumparsita“ von Matos Rodriguez mit sehr einfühlsam modulierten Entdeckungen, wie den Walzer Nr. 2 von Dmitri Schostakowitsch. Vielleicht ist Amelies Walzer aus dem bekannten Film „Die wunderbare Welt der Amelie“, der zum Auftakt des zweiten Teils zu hören war, am besten geeignet, den Charakter dieses Konzertes auf den Punkt zu bringen. Eine Einladung, zum sommerlichen Träumen, eine Erinnerung an die Lebenslust, eine Beschwörung der tänzerischen Bewegung.

Die „Urania-Familie“ bedachte jede Interpretin einzeln mit lang anhaltendem Applaus, der – für dieses distinguierte Publikum wirklich ungewöhnlich – in kräftiges Fußgeklapper überging. Muzet Royal hatte vielleicht nicht die ganze Urania, aber auf jeden Fall den Saal, verzaubert.

Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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