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Kultur: Leidenschaftlicher Kampf der Instrumente

Lesung mit Musik: Im Palmensaal im Neuen Garten ging es um die Existenzberechtigung der Gambe

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In der emotionsgeladenen und weitschweifigen Streitschrift „Verteidigung der Viola da gamba gegen die Angriffe der Violine und die Anmaßung des Violoncells“ von Hubert Le Blanc, 1740 in Amsterdam erschienen, geht es nicht immer freundlich zu. Kontroversen gipfeln in gegenseitigen Beschimpfungen, wem denn der Vorrang gebühre. Von Revierwilderei ist die Rede, Schwielen an den Fingerkuppen und grellen Klängen jenes machtgierigen Sultan Violino, denn „diese Mißgeburt, dieser Zwerg, hat es sich in den Kopf gesetzt, die Weltherrschaft an sich zu reißen“, ereifert sich Monsieur. Distinguierte Antwort der Gambendame: Sie sei ein Instrument, „das ein Edelmann zu seiner Zerstreuung und nicht zur Unterhaltung anderer spielt“. Überdies sei ihr Ton „sehr schicklich, sogar etwas näselnd wie die Stimme eines Gesandten“. Als den ihren hat Madam den exzellenten Gambisten Philippe Pierlot mit seinem „Ricercar Consort“ am Dienstag zum Auftritt in den Palmensaal Neuer Garten geschickt und PNN-Autor Klaus Büstrin als Verteidigungsredner das Mandat erteilt. Er trifft den Tonfall des Schlagabtauschs mit sprachmelodischem Engagement und rhetorischer Leidenschaft: Das musikalisch-literarische Erleben kann beginnen.

Zum Beweis für die Richtigkeit der verbalen Behauptungen werden die entsprechenden klanglichen Belege zur Begutachtung vorgelegt. Dabei handelt es sich um aussagekräftige Details aus italo-frankophonen Sonaten, Suiten, Tonmalereien und dem 3. Königlichen Konzert von François Couperin. Zu weiteren Zeitzeugen gehören Marin Marais, Jean-Marie Leclair, Arcangelo Corelli, Francesco Geminiani, Jean-Philippe Rameau, Jean-Féry Rebel und ein Anonymus. Ihre Plädoyers pro und contra der Gambenvorherrschaft werden von den Noten-in-Klang-Verwandlern überzeugend gehalten. Als Erster ergreift Marais per Sologambe und Continuo-Unterstützung – Julien Wolfs (Cembalo) und Rainer Zipperling (2. Gambe) – das Wort: einschmeichelnd und zärtlich, ganz Poesie amoureuse. Später verbünden sich Gambe und Cembalo, um mit der „Suite d'un goût etranger“ von den Einflüssen des „fremden Geschmacks“ zu künden. Dagegen lässt ein keck auftrumpfendes Sonaten-Allegro von Leclair das Corellische Vorbild erahnen. Dessen virtuose Variationen über „La Follia“ ergießen sich sturzbachgleich in den Raum. Mit Geminianis Hilfe verbünden sich Violoncello (Rainer Zipperling) und Cembalo für ein Allegro aus der F-Dur-Sonate, während Rebel alle vier Advokaten zu ausdrucksstarker Rhetorik animiert.

Schließlich die Urteilsverkündung: Die Viola da gamba sei im privaten Kreis in ihre Rechte einzusetzen, Don Violino aber sollten die öffentlichen Konzerte überlassen bleiben. Die Verhandlung wird unter Beifall geschlossen.P. Buske

P. Buske

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