Kultur: Leidenschaftsberstend „Klassische Raritäten“ der Kammerakademie
Seit Jahren sei er „in dem ganzen musikalischen Europa rühmlichst bekannt“, wissen Zeitgenossen anno 1786 über Leopold Anton Koeluh (1747-1818) zu berichten. Man benennt „Munterkeit und Grazie, die edelste Melodie mit der reinsten Harmonie und gefälligsten Ordnung in Absicht der Rhythmik und Modulation“ als wesentliche Bestandteile seines Stils.
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Seit Jahren sei er „in dem ganzen musikalischen Europa rühmlichst bekannt“, wissen Zeitgenossen anno 1786 über Leopold Anton Koeluh (1747-1818) zu berichten. Man benennt „Munterkeit und Grazie, die edelste Melodie mit der reinsten Harmonie und gefälligsten Ordnung in Absicht der Rhythmik und Modulation“ als wesentliche Bestandteile seines Stils. Andere sehen in ihm einen Vielschreiber. Auch Mozart und Beethoven urteilen abschätzig über ihn. Dies ein Grund dafür, dass der Vertreter einer weit verzweigten böhmischen Musikerfamilie alsbald in der musikhistorischen Versenkung verschwand?
Aus dieser holten ihn nun Fagottist Sergio Azzolini und die Kammerakademie Potsdam im Rahmen ihres jüngsten, höchst vergnüglichen „Schlosskonzerts“ (im Neuen Palais) hervor, um mit den Reizen und Finessen eines C-Dur-Konzerts bekannt zu machen. Eine Rarität, der an diesem Frühabend noch weitere folgen sollten.
Nach klangprächtigem Eröffnungsritornell bläst das Solofagott eine lange Klanglinie, ehe es auf verschlungenen Pfaden den sich entwickelnden Motivwegen folgt. Sergio Azzolini bevorzugt wie stets eine ausdrucksintensive Lesart. Mühelos ist seine Tongebung. Er webt filigrane Klanggespinste, jubiliert wie ein Heldentenor, schmachtet gleich einem Lyriker, hält eine kecke Kadenz-Zwiesprache mit dem Orchesterfagottisten Das empfindsame Larghetto bringen die Musiker in voller Schönheit und Innigkeit zur Geltung – als ob sanfte Abendlüfte durch den Pinienhain derer von Almaviva wehten. Dann der Stimmungswechsel: gelenkig turnt Azzolini auf und zwischen den Notenlinien. Seine kecken Stakkati gleichen Flicflacs. Herrlich, wie er seine Spiellust den Musikern und dem hingerissenen Publikum zu übermitteln versteht.
Im danach erklingenden Allegro-Satz aus der Sinfonia concertante C-Dur für Flöte (Bettina Lange), Oboe (Jan Böttcher), Fagott, Violoncello (Anna Carewe) und Cembalo (Beni Araki) von Jan Koeluh (1738-1814) – Cousin von Leopold K. – ist letzteres an die Rampe gerückt, was auf eine besondere satztechnische Verwendung innerhalb des instrumentalen Wettstreits hindeutet. Und tatsächlich: nachdem die Bläser und das Cello einen längeren virtuosen Quadrolog geführt haben, betritt endlich das Cembalo gleich einer Primadonna die Klangbühne – und genießt ihn. Sie parliert munteren Tonfalls, reißt die Gespräche an sich, lässt sich nicht unterbrechen – wie in einer Talkshow. Ein vergnüglicher, energiegeladen musizierter Satz.
Umhüllt sind die Koeluh-Entdeckungen von zwei bekannten Komponisten. Doch wer glaubt, seinen Joseph Haydn mit nachgezählten 104 Sinfonien zu kennen, muss sich gleich zu Beginn des Raritäten-Programm eines Besseren belehren lassen. Es gibt da beispielsweise ein viersätziges B-Dur-Stück des 28-Jährigen, dem man lange Zeit nicht den Status einer handfesten Sinfonie zuerkennen wollte. Knapp ist sie geformt, mit mancherlei Überraschungseffekten reich versehen, von drängendem Impetus erfüllt. Ergo ist energisches, akzentbetontes Musizieren angesagt. Makellos die Intonation der vibratolos agierenden Streicher im schmerzerfüllten Andante. Rasant und übermütig zeigt sich das Prestofinale.
Nicht weniger kontrastbetont und überraschungsreich erklingt abschließend die d-Moll-Sinfonia „La Casa del Diavolo“ von Luigi Boccherini (1743-1805). In ihr feuert Azzolini unter dem Motto „voller Einsatz, volles Risiko“ sich und die Musiker zu staunenswerter Impulsivität und total verinnerlichter Intensität an. Präzise und pointiert bricht das Düster-Geheimnisvolle genauso hervor wie das Schauerlich-Rasende – als ob Gluck mit seiner „Orpheus“-Furienszene oder Mozart mit der Höllenfahrt des Don Giovanni Pate gestanden hätten. Der Jubel will kein Ende nehmen.Peter Buske
Peter Buske
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