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Kultur: Leidenschaftslodernde Geschichten

Antje Weithaas und Tabea Zimmermann im Pfingstkonzert der Kammerakademie Potsdam im Nikolaisaal

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Wie stets, wenn Geigerin Antje Weithaas mit der Kammerakademie Potsdam musiziert, steht Außergewöhnliches zu erwarten. So auch beim Pfingstkonzert im Nikolaisaal, wo sie mit Star-Bratscherin Tabea Zimmermann die oftmals belanglos oder vordergründig virtuos vorgetragene Sinfonia concertante Es-Dur KV 364 von Wolfgang Amadeus Mozart als eine leidenschaftslodernde Lebens- und Liebesgeschichte ausbreitete. Ob die Duettantinnen dabei ans Wolferl und seine Konstanze dachten (oder genauer: deren Vorgängerin Aloysia, die in der Zeit der Werkentstehung anno 1778 mit ihm eine Liaison hatte)?! Wie dem auch sei: Es war des Staunens kein Ende, wie sie in totaler geistiger Übereinstimmung aufregend aus Notenklang Charaktere zu formen verstanden. Dass es dabei keines dirigierenden Vermittlers bedurfte, verstand sich von selbst. Beider Seelenschwingungen erreichten die sie begleitenden Musiker der Kammerakademie auf geradezu telepathischen Wegen.

Dabei hatte die Violine auch optisch den Vortritt, wobei Antje Weithaas vor innerer Spannung nur so zu vibrieren schien. Fast immer einen Schritt dahinter, gelegentlich zur Seite stand die Viola alias Tabea Zimmermann: beobachtend, in nonchalanter Körperhaltung, mit sonorem und besänftigendem Saitensingen der kapriziösen Spritzigkeit der Geige immer wieder Paroli bietend. Herrlich, wenn beide sich im Überschwang der Gefühle zu traumhaft schönem, kristallklarem und präzisem Unisonogesang fanden. Fern jeder Niedlichkeit assistierte die Kammerakademie. Dem melancholischen Andante, detailreich durchforscht, entlockten die Solistinnen viele fragende Untertöne: von Entsagung, Besänftigung, Zweifel. Alle Sorgen, alle Nöte waren dann im Presto wie weggeblasen: es herrschte klanggewordene Daseinsfreude; bei den Hörern die pure Glückseligkeit. Mit dem langsamen Satz aus einem Mozartschen Duo bedankten sie sich für den enthusiastischen Beifall, der ihnen auch aus den Reihen der Musiker entgegenschlug.

In deren Mitte, an den entsprechend ersten Pulten, saßen beide bei den rahmenden Opera von Schubert und Schönberg und gaben von dort aus die Spielimpulse. Der langsam-tragischen Einleitung von Franz Schuberts c-Moll-Ouvertüre war eine straff artikulierte Innenspannung entwickelt, die sich abrupt entlud. Alle Gefälligkeiten hatte man dabei dem Frühwerk des 14-Jährigen ausgetrieben: Es klang spröde, bisweilen schroff. Die Streicher der Kammerakademie horchten detailgenau die Partitur aus, ließen Mittelstimmen deutlich hervortreten. Fast immer waren die lyrischen Seitengedanken von dramatischen Aufgeregtheiten durchtobt. Ob es der Tonsetzer so gemeint hatte?

Analytische Genauigkeit bestimmte auch die Wiedergabe der „Verklärten Nacht“ von Arnold Schönberg. Diesem romantischen Gefühlsdrama nach dem gleichnamigen Gedicht von Franz Dehmel widerfuhr eine ebenso assoziationsreiche wie theatralisch prägnante Auslegung. In der Einleitung war die Einsamkeit eines Paares nahezu körperlich fühlbar. Hochgespanntes Musizieren bestimmen die Selbstanklagen einer folgenreich fremdgegangenen Frau, die sich darob vom Neuen verachtet fühlt. Klangvoll und kraftvoll tönt die (Orchester-)Stimme des Mannes. In klangsinnlichem Streicherweben endet das nächtliche Zueinanderfinden, von anhaltendem Beifall begleitet. Peter Buske

Peter Buske

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