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Kultur: Leidensweg

Karfreitag: „Matthäus-Passion“ in der Nikolaikirche, „Johannes-Passion“ in der Friedenskirche

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Sind sie zu schlicht, zu kontemplativ, zu wenig bilderreich, die Passionsmusiken von Heinrich Schütz, auch Historien genannt. Wenn nicht: warum stehen sie dann bei Ausführenden dennoch ein wenig im Schatten der Bachschen Vertonungen?! Sehr verdienstvoll daher, dass am Karfreitag Heinrich Schützens 1666 geschriebene „Historia des Leidens und Sterbens unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi nach dem Evangelisten St. Matthäus“ SWV 479 in der Nikolaikirche erklang. Die letzte seiner Passionsmusiken „beschränkt“ sich auf die konzentrierte musikalische Ausdeutung des Bibeltextes (Matth. Kapitel 26, 27), verzichtet auf lyrische Zutaten und begleitende Instrumente, setzt stattdessen nur auf solistisch und chorisch verwendete menschliche Stimmen. Sie kennt keine eingeschobenen Bekenntnisse und Betrachtungen wie sie Bach später in seiner „Matthäus-Passion“ reichlich verwendete. Bei aller stilistischen Unterschiedlichkeit: den beiden religiös inspirierten Komponisten dient die Musik stets als Medium der Verkündigung.

Angestimmt wurde die „Historia“ vom „Vokalconsort St. Nikolai“ unter Leitung von Björn O. Wiede, der, mit angesagter Indisposition, zugleich die Einwürfe des Judas, Hohenpriester und Pilatus vortrug und in den „Chor“-Partien mitwirkte. Nach einem feierlichen und erwartungserweckenden, kunstvoll gesetzten „Vorspruch“ von vier chorischen Stimmen beginnt der Sprechgesang. Er führte sich fast durchweg als eine Wechselfolge selbstbewusst vorgetragener Jesus-Monologe (Matthias Jahrmärker mit lyrischem, schlank geführtem Bariton) mit dem rezitativischen Evangelistenbericht vor, den Friedemann Büttner (Tenor) im vorgeschriebenen engen Tonraum (bis zur Quinte) einprägsam deklamierte. Sein psalmodierender Redetonfall erinnerte dabei fast an eine musikalische Predigt.

Beide Künstler verstanden es, mit feinsten Ausdrucksnuancen für gestalterische Abwechslung zu sorgen. Sopran (Inge Clerix) und Altus (Hagen Matzeit) dienten neben kleineren Einwürfen (Magd, Judas) vorwiegend als Füllstimmen für die Chöre. Ob nun das falsch Zeugnis der zwei Zeugen, der Spruch „Er ist des Todes schuldig“ oder die „Kreuzige“-Rufe – in all diesen Passagen bemühten sich die fünf Sänger um Lebendigkeit. Auch die Spöttereien der Kriegsknechte und Juden gestalteten sie zu frappanten Charakterstücken. Der Akustik von St. Nikolai kam diese wortdeklamatorische Aufführung übrigens sehr entgegen. Den motettisch geprägten Schlusschor „Ehre sei dir, Christe“ stimmten alle fünf Stimmen in anrührender Eindringlichkeit an, um die „Historia“ schließlich in ruhiger „Christe eleison“-Entrückung verklingen zu lassen. In Stille ging man auseinander. Peter Buske

„Weinet nicht über mich“, sagte Jesus vor seinem Tod am Kreuz zu den Frauen von Jerusalem, „weinet über euch und eure Kinder!“ (Luk. 23.28). An ihm war keine Sünde, und mehr als mit seinem irdischen Ende sind ja Auferstehung und ewiges Leben mit diesem „Osterereignis“ verbunden. Jahr um Jahr trauern Millionen Christen um den ans Holz geschlagenen Menschensohn, was im Sinne des Zitates doch denkwürdig ist. So auch am Karfreitag, als man in der Friedenskirche seiner Sterbestunde, das war 15 Uhr, in Würde, Andacht und innerer Stille gedachte. Über mangelnden Besuch war nicht zu klagen, zumal Matthias Jacob, nach der nicht ganz gelungenen „Golgatha“-Aufführung vor einer Woche, mit seinem Vocalkreis die kürzere, aber nicht weniger anspruchsvolle „Johannes-Passion“ von Heinrich Schütz ins geistige Zentrum dieser Andacht rückte. Auch Klaus Büstrin überraschte wieder mit lebendigen Texten, so mit Christian Morgensterns kaum bekanntem Gedicht „Christus klagt“ und Christian Fürchtegott Gellerts „Herr, stärke mich dein Leiden zu bedenken“. Die Instrumente schwiegen wieder.

Festlich zog das fast 30-köpfige Vocal-Ensemble zum Anfang hinein, bevor Antonio Lottis „Miserere mei Deus“, eine sehr eingängige Vertonung des Psalms 51, erklang. Der Komponist war ein führender Kopf der „venezianischen Schule“ des 17. Jahrhunderts – Renaissance als geistliches Belcanto, gleichwohl die Sänger in den mehrchörigen Passagen stimmlich vielleicht etwas unausgeglichen wirkten. Lange, klagende Sentenzen dominierten im zweiten Stück dieses Komponisten, dem schönen „Crucifixus a 6“. Gebremst-dissonante Töne waren dem Choral „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“ von Johann Nepomuk David beigemischt, einem Komponisten des 20. Jahrhunderts, welcher es sehr wohl verstand, musikalische Höhepunkte zu setzen. Frei von jeder Anklage trug Klaus Büstrin danach den Text von Morgenstern vor, wo es so nachdrücklich heißt „Ich sterbe für Euch, und Ihr schlaft“, und auch Paul Gerhardt, mit der „Dornenzeit“ jedes Mal vertreten, ist voller Klage: „Von Übeltaten weißt du nicht / dein Schmerzen muss mein Labsal sein“.

Die „Historia des Leidens und Sterbens unseres Herrn und Heilands Jesu Christi nach dem Evangelisten St. Johannes“ (1665) ist für drei Solisten und einen vierstimmigen Chor a capella ausgelegt. Ein prachtvolles, sehr dramatisches Werk, welches den Passionsweg Jesu von Judas Verrat über das Verhör des Pilatus und die Forderung der Juden nach seiner Kreuzigung bis zum bitteren Kelch noch einmal nachvollzieht.

Thomas Heiß gab die Jesus-Partie mit einem guten, zum Pathos neigenden Bass, während Stephan Scherpe (Tenor) als Evangelist gleichsam den Hauptteil dieses Werkes zu tragen hatte. Manche Sentenz hätte man sich etwas kräftiger gewünscht, so aber entstand ein Komplementärgesang mit vielen Effekten. Pilatus, ziemlich dünn aus dem Chor heraus gesungen, wurde von Christian Stolte gegeben. Bis auf ein paar schwache Einsätze machte der Vocalkreis seine Sache gut, hörenswerte Stimmführung, ein tadelloser Alt, während die Herren manchmal etwas Mühe hatten, sich in Unterzahl zu behaupten. Der geistliche Ton des Werkes stimmte unbedingt. Trotzdem so viel Klage. Wie schreibt Johannes in 14.28: „Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe, denn der Vater ist größer als ich.“ Still zog der Chor dann hinaus.

Gerold Paul

Peter Buske

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