Kultur: Letzte Fragen des Lebens
Brandenburgisches Staatsorchester im Nikolaisaal
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Ob Trauermonat November oder Lenzeswonnen verheißendes Frühjahr: Vor Tod und Trauer ist niemand gefeit, egal zu welcher Jahreszeit. Da nun die Osterzeit bevorsteht, war es nicht ungewöhnlich, auch das 7. Sinfoniekonzert im Nikolaisaal am Samstag unter dieses Thema zu stellen. Es waren allesamt Stücke voller Todesängste, tröstlicher Trauerklagen und Erlösungssehnsüchte. Auf Dauer gehört, kann das anstrengend sein und das Gemüt in arge Aufnahmebedrängnis bringen. Was es aber nicht tat und am eindrucksvoll aufspielenden Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt und seinem Chefdirigenten Howard Griffiths lag.
Um die letzten Fragen des Lebens kreisen die Werke russischer Komponisten, in denen die oft zitierte „russische Seele“, ob klischeehaft oder mentalitätsreal, aufklingt. Sie will entsprechend gestaltet sein. Doch ehe es dazu kommt, erklingt mit Benjamin Brittens „Sinfonia da Requiem“ ein Werk, das in seinen drei ineinander übergehenden Sätzen mit übernommenen Überschriften aus der lateinischen Totenmesse über den tränenreichen Tag („Lacrymosa“), Schrecknisse des Jüngsten Gerichts („Dies irae“) und die Bitte um ewige Ruhe („Requiem aeternam“) reflektiert. Eingangs erklingende Fortissimoschläge von großer Trommel, tiefen Streichern und Harfe assoziieren den Eintritt des Todesfalles. Ein konduktartiger Rhythmus, Zutaten von Altsaxofon, Kontrafagott oder Querflöten deuten den lateinischen Messetext aus. Eindringlich, geradezu beklemmend werden die Ausbrüche schmerzvoller Leidenschaften mit ihren grotesken Trompetenstaccati musiziert, empfindungsvoll und geschmeidig die versöhnende Friedensbitte.
Es folgen Modest Mussorgskys „Lieder und Tänze des Todes“ in der klangkantigen Orchesterfassung von Kalevi Aho. Es sind dramatische Szenen, in denen der Sensenmann in verschiedenen Masken auftritt: als Tröster („Wiegenlied“), Verführer („Serenade“), Wegelagerer („Trepak“) und Triumphator („Der Feldherr“). Ausdrucksintensiv trägt sie der drahtige, stimmgewaltige, vor facettenreicher Charakterisierungskunst schier berstende Bassist Fjodor Kusnezow (Solist des Petersburger Marijnski-Theaters) vor. Faszinierend, wie Stimmfarbe, Diktion und Technik mit einer geradezu fulminanten Wortausdeutung einhergehen. Damit reiht sich der Sänger in die Ahnenreihe berühmter russischer Bassisten von Fjodor Schaljapin über Mark Reisen bis zu Jewgeni Nesterenko ein.
Seinen Abschied vom Leben hat Peter Tschaikowsky in der 6. Sinfonie h-Moll „Pathétique“ zwischen abgrundtiefer Verzweiflung, walzerseliger Lebensfreude und erschütternder Todesahnung niedergeschrieben. Russische Seele pur. Ihr suchen die Musiker nahezukommen: mit wohldosiertem Vibrato, von Leidenschaft geprägter Spiellust. Den Klang halten sie schlank und hell. Doch manches bleibt zu glatt oder oberflächlich, und auch die hemmungslosen Abstürze in Abgründiges hätten durchaus mehr Intensität vertragen. Das Ergebnis: Ein Ertrinken im Meer der Gefühle findet nicht statt, weil nicht beabsichtigt. Dafür entschädigen die Soli von Klarinette, Fagott und schwerem Blech. Doch im Finale wird’s dann noch so richtig seelenergreifend. Nach Griffithsschem Wunsch und Wille eine in sich schlüssige, weitgehend rational geprägte Deutung. Der Beifall tost. Peter Buske
Peter Buske
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