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Kultur: „Lieb doch das Leben – Leben ist Liebe!“

„Salon“-Lesung aus Briefen der Romantik

Stand:

Als Bettina von Arnim und Karoline von Günderode diesen Briefwechsel kurz nach 1800 führten, waren keine von ihnen berühmt. Die erstere machte sich erst jenseits der Fünfzig einen Namen, die andere schied im 26. Jahr freiwillig aus dem Leben, wegen einer unglücklichen Liebe zu dem Heidelberger Sprachforscher Friedrich Creuzer. Beide werden gerne zitiert, wenn angesichts männlicher Autoren-Übermacht ein Beweis für die weibliche Schreibbegabung erforderlich scheint, oder für emanzipatorische Zwecke. Jetzt erlebte ein hochmotiviertes Publikum eine Begegnung mit diesem sehr intensiven Briefverkehr: als Lesung der Schauspielerinnen Miriam Eberhard und Jana Hampel. Der „Potsdamer Salon“ lud ihr von der „Zeit“ preisgekröntes Programm „Eine Freundschaft zwischen Sehnsucht und Realität“ in die Kellermann-Villa ein. Es entstand anlässlich der 200. Wiederkehr des Freitodes der Günderode 2006.

Zwei Tische mit Kerzen vor dem Kamin: Miriam Eberhard übernahm mit warmer, leidenschaftlicher Stimme den Part Bettina von Arnims, während Jana Hempel, etwas herber im Ausdruck und helleren Teints, die immer lebensmüder werdende Günderode mit sachlichem Duktus gab. Umrahmt von düsterer Vokalmusik weiblicher Feder, suchte das eindrucksvolle Programm mit deutlich geistigem Ansatz nach „der tatsächlichen Beziehung der beiden Dichterinnen sowie deren Ringen um das Erschaffen und Durchdringen philosophischer Denksysteme“, was ausdrücklich Schelling meinte. In welchem Alter dies geschah, erfuhr das Publikum erst später.

Teils in Briefform, teils in dialogischer Gestaltung, hörte man Bettina vom Dasein schwärmen, welches die Gottheit erhält. „Lieb doch das Leben – Leben ist Liebe!“ rief sie der Freundin zu. Sie nahm die Dinge direkt, hielt nicht viel von den philosophischen Männern, Kant, Fichte und Schelling nannte sie „ganz unmögliche Kerle“ - wie recht sie doch hatte. „Ist die äußere Welt nicht dein Inneres?“, fragt das „Günderödchen“ zurück. Bettina bevorzugte die „lebendige Weisheit der Natur“, suchte die Musik in der Seele, das „unverletzte Forschen nach Wahrheit“ in Gott. Fragen sei Liebe, Antwort Gegenliebe. Alles war für sie geistig: Nicht der Mensch erzeugt die Gedanken, sie erzeugen ihn. Dieses „romantische“ Niveau ist heute so fern, und ihre Sentenz „Schwinden ist Zeit“ noch immer unübertroffen. 1840 veröffentlichte sie das Buch „Die Günderode“.

Die um sechs Jahre Ältere war hingegen von Schellings Philosophie beeinflusst, wonach Vollkommenheit im Diesseits nicht zu erwerben sei – einer der Gründe für den inszenierten Suizid. Obwohl diese Lesung das Bindende, Gemeinsame, Liebende suchte, schreibt die weltflüchtige Karoline an Bettina „Du bist mein Eckchen Sonne, die nicht erwärmt“, und später: „Du dünkst mir der Lehm zu sein, den ein Gott bildend mit Füßen tritt“. Bettina war 16, Karoline 22, als ihr Briefwechsel begann. Jede hatte, was der anderen fehlte.

Sein und Haben, Aufgabe und Ziel, im „Potsdamer Salon“ wurden existentielle Fragen des Menschseins behandelt. Wie groß der Abstand vom „Geist der Romantik“ zur Gegenwart ist, zeigte sich im Anschluss. Man fragte nach dem politischen Engagement der Freundinnen, nach ihrem Inneren kaum. Gerold Paul

Gerold Paul

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