Kultur: Liebe in Hexametern
Im Garten vorgelesen mit einem Goethe-Epos
Stand:
oethe und die Endlichkeit! Vor etwa einhundert Jahren urteilte ein Germanist über das heroische Epos „Hermann und Dorothea“: „Deutsch ist alles darin: die Freude an der ruhigen Behaglichkeit des kleinstädtischen Lebens, an gesichertem Besitz, an den wogenden Kornfeldern und den blühenden Reben“. Er macht das 1797 als Taschenbuch erschienene Werk sogar zum „Nationalepos der Deutschen“. Die es heute noch kennen, sind wenige, die es schätzen, müssen wohl ihren Heros im Herzen tragen. Goethe wollte „die großen Bewegungen und Veränderungen des Welttheaters aus einem kleinen Spiegel zurückwerfen“, indem er eine Episode aus der Zeit der Vertreibung Salzburger Protestanten 1731 durch den katholischen Erzbischof Graf von Firmian in seine Gegenwart übertrug. Hier waren es linksrheinische Flüchtlinge, die „vor dem Franken“ ins rettende Deutsche Reich geflohen.
Eine Liebesgeschichte entspann sich zwischen dem sesshaften Treuherz Hermann und der tapferen, im Text nur wenig konturierten Dorothea. Hans-Jochen Röhrig selbst wählte, ganz lobenswert, diesen kaum bekannten Text für die jüngste Urania-Veranstaltung „Im Garten vorgelesen“ aus – wer nähme sich sonst schon die Zeit, die in Hexameter gezwungene Liebe zu lektorieren?
Gelesen wurde allerdings am Sonnabend nicht im Wundergarten von Christa und Konrad Näser, Amundsenstraße, sondern auf dem trockenen Malzboden des Krongutes Bornstedt. Das Wetter war den Veranstaltern allzu ungewiss. Schade, dieses idealisierte, von keinen Zweifeln geplagte Biedermeier-Paar hätte so schön in ihre Anlage hineingepasst, wo dreihundert meist hochstämmige Fuchsiesorten die Ehre sich geben, Wasserspender und Teich zum Verweilen einladen, Dahlien neben Sonnenhüten, Farne unter seltenen Koniferen gedeihen. Auch die exzellente Fagott-Literatur, von Goethes Zeitgenossen Francois René Gebauer über Ludwig Milde (um 1900) bis zu dem 1959 geborenen Jacques Leclair reichend, hätte sich hier gut eingefügt, doch auch „bedacht“ kamen vom Instrumentalisten Hanno Koloska sehr schöne Klänge herüber.
Viel müsste nun zu diesem „... und vermied nicht Umarmung und Kuss“ gesagt werden, wie deutsch die „Klassik“ der Griechen eigentlich sei, wie das heroische Versmaß sich in Liebesdinge schickt, zur damaligen und heutigen Rezeption, zu Goethes Darstellung von „Hermann und Dorothea“ selbst, wo es vor prunkenden und erhöhenden Adjektiven nur so wimmelt und die deutsch-idyllische Tugend während des Krieges höher bewertet ist als das, was man viel grausamer von den Flüchtlingszügen um 1945 weiß. Das „Bürgertum“ erkannte wenigstens seine Ideale wieder. Gut gelesen und lebendig gestaltet wurde das Epos durch Hans-Jochen Röhrig trotzdem. Anfangs las er Hexameter, später mehr Kontext. Wer wollte, konnte in dem poltrigen Wirt neben Hermanns Vater auch den Goetheschen erkennen, die Mutter entsprechend. Frau Goethe schwärmte ja damals: „Ich trage es herum wie die Katze ihre Jungen ...“
Keine Dramatik im nationalen Über-Text, das Tugendhafte siegt: die Mutter überwindet den väterlichen Widerstand, Flüchtling Dorothea wird als fleißige und treue Magd ins Haus geführt, dann (worauf sie schon lange gewartet haben wird) zur Braut gekürt, – alles sehr keimfrei und eilig, weder Kuss noch Umarmung vermeidend: Gestern gesehen, heute verlobt, das sollte dem braven Teutschen wohl munden. Bloß gut, dass man diesen „Klassiker“ mal gehört hat!
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: