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Auseinander. Die Schauspieler Melanie Straub als Emily und Jon-Karre Koppe als Amir während der Proben zu dem Stück „Geächtet“, das am Freitag Premiere hat.

© HOT/HL Böhme

Der Broadway-Erfolg „Geächtet“ am Hans Otto Theater: Liebe in Zeiten der Terrorangriffe

Liebe, denken viele, funktioniert über alle politischen Grenzen hinweg. Aber das stimmt natürlich nur, solange sie in einer Blase existiert.

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Liebe, denken viele, funktioniert über alle politischen Grenzen hinweg. Aber das stimmt natürlich nur, solange sie in einer Blase existiert. Solange keine äußeren Einflüsse stören. „In unserem Stück“, sagt Jon-Kaare Koppe, „ist es vor allem die Gesellschaft, die etwas mit den Menschen, und auch mit der Beziehung zwischen ihnen macht.“ Das Stück ist „Geächtet“ vom New Yorker Autor Ayad Akthar, das 2013 ein Riesenerfolg am Broadway war und an diesem Freitag unter der Regie von Elias Perrig im Hans Otto Theater Premiere hat. Koppe spielt darin die Hauptrolle, Amir, einen erfolgreichen Anwalt, Amerikaner mit pakistanischer Herkunft.

Mit seinen muslimischen Wurzeln will er nichts zu tun haben, vieles am Islam lehnt er ab. Ganz anders als seine Frau Emily, gespielt von Melanie Straub. Die ist Künstlerin, kommt aus einer wohlhabenden christlichen Familie und ist fasziniert von islamischen Traditionen, die, so denkt sie, der westlichen Glorifizierung des Ego etwas Größeres entgegensetzt: das der gemeinsamen Identität ergebene Kollektiv. Eigentlich also haben die beiden die besten Voraussetzungen, beide bringen Empathie mit für die Kultur, die Hintergründe des anderen.

Man könnte es auch so sehen: Beide idealisieren die Herkunft des anderen – und sehen dabei nicht genau genug hin. Verleugnen Unterschiede – und lieben vor allem ihre eigene Idee des anderen. Aber Straub und Koppe schütteln den Kopf. Es ist, das haben sie bei den Proben gemerkt, schon das Außen, die Gesellschaft, die das zerstört.

Das Außen, die Gesellschaft, dringt herein in einer kammerspielhaften Modell-Anordnung. Es ist ein Abendessen mit einem befreundeten Paar, das alles zerreißt: Emilys Galerist Isaac, der jüdischer Herkunft ist, und seine Frau Jory, eine Afroamerikanerin, sind da, irgendwann dreht sich das Gespräch um Politik. Amir will eigentlich nicht, er sagt: Lass uns jetzt nicht darüber reden. „Emily, und das ist schon ein Zeichen dafür, dass die beiden manches ausgespart haben zwischen sich, antwortet: Aber wir reden nie darüber“, sagt Straub.

„Das Stück ist ja unter dem Einfluss von 9/11 entstanden“, sagt Koppe. Einer Zeit also, die die amerikanische Gesellschaft ziemlich umgewälzt hat. „Jeder mit Bart und dunklen Haaren ist plötzlich ein potenzieller Terrorist – und löst damit die Afroamerikaner als die Haupt-Diskriminierten ab.“

Unter diesem Druck muss auch der hyper-integrierte Amir stehen, er, der immer so kritisch mit dem Islam ist. Es ist ein Druck, der sich, das erfährt man nebenbei, schon auf das Sexleben von Emily und Amir auswirkt – er kann einfach nicht mehr. Und dann sagt er bei diesem Abendessen diesen Satz – dass er nämlich auch einen gewissen Stolz empfunden hat beim Attentat vom 9. September 2001, bei dem mehr als 3000 Menschen getötet wurden. „Eigentlich ist er in dem Moment einfach ehrlich“, sagt Melanie Straub. Und, fügt Koppe hinzu: „Er schiebt ja noch etwas hinterher – nämlich, dass das falsch ist.“

„Auf einer gewissen Ebene kann ich das gut nachvollziehen“, sagt Koppe, der selbst in der DDR geboren und aufgewachsen ist. „Bei aller Kritik am Regime haben wir uns auch gefreut, wenn wir bei den Olympischen Spielen ne Goldmedaille gewonnen haben.“ Und wer ehrlich mit sich ist, wird etwas Ähnliches selbst schon erlebt haben: So sehr man manche Zusammenhänge, aus denen man kommt, auch ablehnt, kritisiert – wenn sie von Dritten ständig angegriffen werden, solidarisiert man sich doch ab und an. Und vielleicht, überlegt Melanie Straub, ist es auch die oberflächliche „alles ist gut, wir verstehen uns doch“-Haltung der anderen am Tisch, die Amir dazu treibt.

Aber manche Gefühle lassen sich eben – bei aller Reflexion – nicht einfach so äußern. Hier ist es natürlich ein drastischer Fall, die anderen aber sind auch wenig bereit, Amir zu folgen. Insofern fügt sich Akthars Stück in eine Tradition von Stücken: Die der netten Abende unter Intellektuellen, die im Augenschlag zum Schlachtfeld werden. Dass es mit der Kultiviertheit auch im Bürgertum nicht so weit her ist – das kann man immer wieder im Theater sehen, Prototyp ist Yasmin Rezas „Gott des Gemetzels“. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil das typische Theaterpublikum, eben die Bildungsbürger, gerne lustvoll dem Schmerz der eigenen Fehlbarkeit zuschaut.

Hier aber, bei „Geächtet“, geht es trotzdem um mehr. Es ist einfach zu aktuell, zu brisant. 9/11 war ein Erdbeben, aber auch ohne diesen Bezug würde und wird es jetzt, in Deutschland unter dem Einfluss der Flüchtlingsdebatte, der AfD und jüngerer Terroranschläge funktionieren. „Klar haben wir auch Angst, dass es Beifall von der falschen Seite gibt“, sagt Melanie Straub. „Dass Rechte sagen: Seht ihr, das passt eben nicht zusammen, Liebe zwischen den Kulturen funktioniert eben nicht.“ Auch wenn das gar nicht der Gedanke des Stückes ist – dagegen werden sie und Koppe anspielen. Ariane Lemme

„Geächtet“ hat an diesem Freitag in der Reithalle des Hans Otto Theaters, Schiffbauergasse, um 19.30 Uhr Premiere, weitere Termine am 3., 12. und 16. Oktober

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