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Kultur: Liebe, Lokomotiven und Gelächter

Filmlivekonzert mit „Der General“ im Nikolaisaal

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„Wie können Sie das diesem Jungen antun?“, fragte die Schauspielerin Sarah Bernhardt entsetzt, nachdem sie gesehen hatte, wie Buster Keaton von seinen Eltern auf der Bühne herumgeworfen wurde. Selbst bei den derbsten Späßen verzog der kleine Kerl keine Miene – schon war das Markenzeichen von Buster Keaton entstanden, „Stone Face“, das versteinerte Gesicht. Sehr erfreulich ist, dass der Nikolaisaal nach den Charlie-Chaplin-Filmen jetzt mit dem „General“, einen der berühmtesten Stummfilme seines schärfsten Konkurrenten zeigt.

Anders als Chaplins unsterbliche Filmfigur des einsamen Tramps, der sehnsüchtig am Leben mit den Anderen teilhaben will, befinden sich Buster Keatons Gestalten in einem Zustand der permanenter Geistesabwesenheit. Was um sie herum passiert, geht sie nichts an – und sei es der amerikanische Bürgerkrieg.

Um echte Generäle geht es im „General“ nur am Rande. Die Hauptperson ist eine Lokomotive, die von Johnnie Gray (Buster Keaton) innig geliebt wird. Als Lokomotivführer würde er am liebsten sein Leben lang darauf hin- und herfahren, ungestört von den Zudringlichkeiten der anderen. Doch die Liebe bedrängt ihn auch in Gestalt von Annabelle. Aber sie will ihn erst in der Uniform eines Soldaten wieder sehen. Bei der Musterung wird Johnnie zurückgestellt, was nicht leicht zu ertragen ist. Doch er hat ja zum Trost noch seinen General. Als dieser jedoch von Spionen der Nordstaatler geraubt wird und Annabelle noch dazu, löst dies eine Kette von verrückten Zu- und Unfällen aus. Johnnie Gray gerät zwischen die Fronten der Nord- und Südstaatler und geht schließlich als siegreicher Kriegsheld hervor.

Aus dieser kleinen Story wurde ein Klassiker des Stummfilms, der wesentliche Elemente der Filmform, wie bewegliche Gegenstände, beschleunigte Aktionen, eilende Fortbewegung und schnelle Bildschnitte, enthält. Die Landschaften des amerikanischen mittleren Westen fliegen in großartigen Aufnahmen am Zuschauer im Takt der Eisenbahn vorbei. Außerdem verwendet „Der General“ die Verfolgungsjagd, das klassische Grundmuster unzähliger Hollywoodfilme, in Reinform. Abgesehen von den Anfangs- und Schlussszenen spielt der gesamte Film auf, in und vor dem fahrenden Zug.

Von dieser Maschine geht die größte Faszination aus. Anders als bei Chaplin wird die Maschinerie nicht bekämpft, sondern sie beherrscht die Szene im positiven Sinn. In diesem Sinne wurde Buster Keaton als Dadaist des Stummfilms bezeichnet. Mit seiner maschinenhaft-anarchistischen Vision steht Buster Keaton konträr zur humanistisch-kommunistischen Utopie von Charlie Chaplin (G. Deleuze).

Auch unter profaneren Aspekten gehört „Der General“ zu den spektakulärsten Stummfilmen. Alle halsbrecherischen Stunts wurden von Buster Keaton selber gespielt, der so zu einem Spielball der Maschine wird. In einer unglaublichen Szene stürzt ein gesamter Eisenbahnzug von einer Brücke in einen Fluss – keine Trickaufnahme, sondern Wirklichkeit, noch Jahrzehnte später war der Drehort am Row River in Oregon eine beliebte Touristenattraktion.

Zu diesem Rausch aus rasenden Bildern komponierte Carl Davis eine kongeniale, witzige Musik für ein unkonventionell erweitertes Symphonieorchester. Im Nikolaisaal spielt das Deutsche Filmorchester Babelsberg unter der Leitung von Helmut Imig. Das Banjo klimpert, Fagott und Saxophon knurren und Pauken und Schlagwerk knallen (nicht immer treffgenau zu den Bildern). Triumphal gellende Trompetenfanfaren konterkarieren immer wieder das Bild des winzig-kleinen Helden in seiner stoischen Einsamkeit und ohne ein Lächeln im Gesicht. Doch die begeisterten Zuschauer lachten dafür umso mehr. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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