Von Dirk Becker: Lieben und verzweifeln
Im T-Werk ist Thomas Bernhards „Alte Meister“ als musikalische Lesung zu erleben
Stand:
„Mich haben immer nur die Menschen interessiert, sagte er, weil sie mich von Natur aus abgestoßen haben, ich bin von nichts intensiver angezogen als von den Menschen, gleichzeitig von nichts gründlicher abgestoßen als von den Menschen. Ich hasse die Menschen, aber sie sind gleichzeitig mein einziger Lebenszweck.“
(Reger in „Alte Meister“ von Thomas Bernhard)
Juliane Sprengel schaut immer wieder auf die Uhr, während Dominik Stein von Thomas Bernhard redet. Und wie er darüber redet! Nicht allein das Inhaltliche, sondern das Sprachliche. Und Sprache, das ist ja Bernhard. Naturgemäß! Theatersprache, selbst in seinen Romanen. „Seine Prosatexte sind ja Theatertexte. Mehr noch als seine Theaterstücke“, sagt Dominik Stein. Und wie er das sagt, ist das schon Theater. „In Form, Struktur und Musik. Der Theatervorgang, das war für Bernhard Grundlage für sein System“, fügt er mit klarer und fester Stimme an.
Und man möchte Stein weitere Stichworte geben zum Schriftsteller Thomas Bernhard. Sich mit ihm weiter unterhalten über diesen Sprachmeister, weil da endlich mal einer ist, der die gleiche Begeisterung mit der gleichen Hingabe, dem gleichen Furor teilt. Doch Juliane Sprengel schaut wieder zur Uhr. „Ich wollte nur daran erinnern“, sagt sie, „dass um 12 unsere Probe beginnt. Und wenn ihr jetzt so weiterredet, sitzen wir noch um eins hier.“
„Alte Meister“ von Thomas Bernhard soll geprobt werden. Als Lesung mit Klassikern des deutschen Liedes. Dominik Stein wird Bernhards Text lesen, die Sopranistin Juliane Sprengel singen und Christian Deichstetter das Klavier spielen. Am morgigen Samstag wird diese musikalisch umrahmte Lesung im T-Werk Premiere haben. Doch Obacht: Lesung ist in diesem Fall nicht das richtige Wort.
„Ich will Bernhard als Theatervergnügen interpretieren“, sagt Dominik Stein. Und schon bei diesem Satz hat seine Stimme diesen Klang, in dem Spannung und Versprechen, Hörgenuss und Verstehen mitschwingen. Und diese fast schon körperliche Begeisterung und Hingabe, die einen Text erst mit Leben zu füllen vermag. Dominik Stein ist kein Vorleser! Wer ihn schon einmal im T-Werk erleben durfte, ob nun in früheren Bernhard-Lesungen wie „Gehen“ zusammen mit Timo Sturm oder im musikalischen Märchenabend „Orange & Zitrone“, der wird dies nur bestätigen können. Dominik Stein ist ein Erzähler. Ein Theatermensch, der einen Text so lange durchkaut, bis er zu etwas eigenem geworden ist und der Punkt eintritt, an dem Stein sagen kann: „Ich will, dass dieser Text lebt!“
Und warum Thomas Bernhard?
Dieser Schriftsteller sei wichtig für ihn, so Stein. „Bernhard ist für mich ...“, sagt Dominik Stein, bringt den Satz aber nicht ganz zum Ende, weil er nach Worten, nach der passenden Formulierung sucht. Und als man in seine Überlegungen hinein sagt, dass für einen selbst Bernhard lesen immer wieder wie eine Therapie sei, bricht es aus Stein heraus: „Ja, Bernhard ist für mich eine Rettung.“
Juliane Sprengel und Christian Deichstetter beobachten schweigend diese wachsende Bernhardbegeisterung an ihrem Tisch. Juliane Sprengel zeigt gelegentlich ein feines Lächeln, Christian Deichstetter dagegen ein unbewegtes Gesicht.
„Alte Meister“ also. Diese Komödie, wie Bernhard seinen Roman überschrieben hat. Knapp 250 Seiten Thomas Bernhard in Höchstform. Und jeder Satz, ja, jeder einzelne Satz ein Genuss!
Erzählt wird von Reger, dem Musikkritiker, der seit 30 Jahren fast täglich auf seiner Bank im Bordone-Saal im Kunsthistorischen Museum in Wien sitzt und in der Betrachtung von Tintorettos „Weißbärtigem Mann“ vertieft ist, dabei vom Museumswärter Irrsigler liebevoll überwacht und gelegentlich von Atzbacher besucht wird. Und dieser Reger kann reden! Sich erregen! Dass es eine Freude ist! Der ganze Bernhardsche Furor, der sich hier sprachlich kunstvoll und sprachlich melodiös entlädt. Ob Kunsthistoriker oder Lehrer, „die sentimentalen und perversen Kleinköpfe aus dem unteren Mittelstand“; ob Maler wie Albrecht Dürer, „dieser schauerliche Dürer“, dieser „Nürnberger Ziselierkünstler“ oder Schriftsteller wie Adalbert Stifter, dieser „Provinzdilettant“, ein „verkrampft schreibender muffiger Kleinbürger“; ob Philosophen wie Heidegger, „diesen lächerlichen nationalsozialistischen Pumphosenspießer“, dieser „Pantoffel- und Schlafhaubenphilosoph“ oder „lauter solche aufgeblasenen Ungeheuerlichkeiten“ wie „Velázquez, Rembrandt, Giorgione, Bach, Händel, Mozart, Goethe“ – hier geht es zur Sache. Doch wer nur plumpen Zynismus herauslesen will, der wird Bernhard nicht gerecht.
„Die Menschen zu lieben, obwohl man an ihnen verzweifelt“, bringt Dominik Stein es auf den Punkt. Und wenn dieser Reger auf die Künstler schimpft, sei dies vor allem ein Akt des Wiedermenschlichmachens, fügt Juliane Sprengel an. Diese Heiligen von dem Sockel zu stoßen, auf die wir sie gehoben haben, um sie zu verklären, das sei Bernhards Absicht.
Knapp 30 Seiten aus „Alte Meister“ wird Dominik Stein am morgigen Samstag lesen. Eine Auswahl, die den Bogen der Handlung aber wiedergebe und in dessen Zentrum naturgemäß Reger und dessen herrliche Monologe stehen werden. „Irrsigler und Atzbacher werden natürlich auch auftauchen“, sagt Stein. Aber nur als Figuren am Rande. Musikalisch werden „Alte Meister“ wie Bach, Beethoven und Schubert zu hören sein. Und Max Reger. „Für den ich wirklich intensiv üben musste“, sagt Deichstetter, der das Gespräch um Thomas Bernhard zwar größtenteils schweigend verfolgt hat, doch das mit Neugier und wachsendem Interesse. „Die Textauswahl von Dominik Stein ist sehr gut“, sagt Deichstetter. Und dass er, wenn ihn Bernhard nicht überzeugt hätte, sich nicht an das Klavier gesetzt hätte.
Juliane Sprengel und Dominik Stein sind schon in den T-Werk-Saal zur Probe gegangen, da hält Deichstetter noch einmal kurz inne. „Im Grunde war dieses Gespräch für mich schon Teil der Probe“, sagt er. So sei ihm der Schauspieler Dominik Stein, mit dem er zum ersten Mal zusammen arbeite, näher gekommen. Und in seiner Stimme schwingt diese Begeisterung mit, die einem schon an Dominik Stein so vielversprechend aufgefallen war.
Thomas Bernhard Lesung aus „Alte Meister“ mit Klassikern des deutschen Liedes am morgigen Samstag, 20 Uhr, im T-Werk in der Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 12, ermäßigt 8, für Schüler 6 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 71 91 39
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: