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Stimmlich wie schauspielerisch überzeugend. Dame Felicity Lott.

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Kultur: Liebeslust und Lebensfrust

Dame Felicity Lott begeisterte im Nikolaisaal

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Süffige Champagnermusik, einschmeichelnde Melodien einerseits, grelle Aufschreie an den Grenzen der Tonalität – es war nicht nur ein Wechselbad der Gefühle, das die Kammerakademie Potsdam am Freitagabend offerierte. Die gewagte Kombination von Jacques Offenbachs überdreht-satirischer Operette „Die Großherzogin von Gerolstein“ und Francis Poulencs suizidalem Opernmonolog „La voix humaine“ war manch einem womöglich zu viel an Drama, wie man angesichts des nur spärlich gefüllten Nikolaisaals vermuten konnte. Dabei war der Auftritt der international gefeierten Sopranistin Dame Felicity Lott medienweit angekündigt worden. Dass die beiden Partien der Großherzogin und der verlassenen Geliebten seit vielen Jahren zu den Paraderollen der hochdekorierten Engländerin gehören, reichte als verbindende Klammer der Gegensätze aber womöglich nicht aus, um das Publikum zu locken. So geriet die Aufführung zur erfüllten Stunde für Kenner und Liebhaber.

Die Kammerakademie erschien in großer Besetzung, von der Piccolo-Flöte über Harfe bis zum dreifachen Schlagwerk war alles vorhanden für schmissigen Sound und atonale Ekstasen. Federleicht und spritzig die Musiker bei Walzer-, Marsch und Can-Can-Rhythmen à la Offenbach. Für die französische Leichtigkeit des Seins findet Chefdirigent Antonello Manacorda schaumig-prickelnde Klänge. Dazu kredenzt Dame Felicity Lott die Arien der Großherzogin, das verführerische „Dites-lui“ und das kokett-spöttische „Ah! Que jaime les militaires“ mit nobler Contenance. Sie trifft das kapriziöse Profil der liebeslustigen Protagonistin zwar weniger, mit ihrer sublimen Stimme gereicht es dennoch zum Triumph.

Die Komposition „La voix humaine“ von Francis Poulenc verströmt viel vom tiefschwarzen Nihilismus der Pariser Existenzialisten der 50er Jahre. Dass die Welt aus den Fugen geraten ist, hört man gleich bei den ersten gellend zwischen F und Fis changierenden Akkorden. Vordergründig geht es um die Geschichte einer verlassenen Frau, die mit ihrem ehemaligen Liebhaber telefoniert und zwischen Wahn, Traum, Angst und Liebesschwüren taumelt, bis sie an das vorhersehbar bittere Ende gelangt. Heutigen Feministinnen würden sich bei diesem Psychodrama der Selbstaufgabe aus Liebe die Haare sträuben, doch im letzten Jahrhundert spielten Jean Cocteaus Text und Poulencs Musik dazu auf Bühne und Leinwand weltweit eine Rolle. Beim verzweifelten Monolog mit dem Telefon erscheint die im Jahrhundert der Technik oft beschworene existenzielle Obdachlosigkeit des Menschen geradezu schmerzhaft deutlich. Dame Felicity Lott verleiht dem Daseinsdrama glaubwürdigen Ausdruck mit all der Kraft und Klarheit ihrer gesanglichen Deklamationen. Selbstquälerisch ist diese Person, aber vor allem einsam und verlassen. Klug vermeidet die superbe Sopranistin Hysterisches und Übertriebenes, sondern lässt die Töne sprechen. Dennoch scheint sie emphatisch mit der Rolle zu verschmelzen, bis hin zu den Tränen, die sie nach dem tragischen Ende aus den Augen wischt. Eine stimmlich wie schauspielerisch wunderbare Darstellung, für die es rauschenden Applaus und lauthals Bravos gibt. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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