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Kultur: Lieder der Sehnsucht

Keine Angst vor großen Gefühlen: Das Publikum schmachtete mit Björn Casapietra im Nikolaisaal

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Viele Sänger spielen mit den Emotionen ihrer zumeist weiblichen Zuhörer wie auf der Tastatur eines Klaviers. Die sentimentale Botschaft eines gut gewählten Repertoires kontrastiert dabei oft mit kühler Routine und glatter Perfektion. Nicht so bei Björn Casapietra. Der junge Tenor singt selbst Lieder, die einmal unter schärfstem Schmalzverdacht standen, so hingebungsvoll, dass man anfängt zu glauben, was er vorträgt. „Lieder der Sehnsucht“ heißt das neue Programm, mit dem Björn Casapietra seit Ende Dezember durch rund fünfzig Städte tourt. Obwohl der Auftritt im Potsdamer Nikolaisaal mitten drin liegt, wird er zu einem großartigen Erfolg.

Sentimentale Arien über die erste Liebe, feurige Leidenschaft, traurigen Herzschmerz und schmerzliche Einsamkeit haben zwar zeitweise nur noch in den Wunschkonzerten des Radios am Sonntagnachmittag überlebt. So sind sie selbst in unserer illusionslosen Zeit nicht ganz ausgestorben. Doch spätestens seit den drei Tenören erlebt gefühlvoller Gesang, der ja lange als unkritisch und antiaufklärerisch verpönt war, ein rauschendes Comeback. Der emotionale Zugriff einer gut geölten Tenorstimme verfehlt nur selten seine Wirkung auf das, aller Emanzipation zum Trotz, immer noch vorwiegend weibliche Gemüt.

Doch Björn Casapietra hat mehr zu bieten. Ihm wurde die Musik quasi schon in die Wiege gelegt. Seine italienische Mutter, die Sopranistin Celestina Casapietra, wurde auf den Bühnen der DDR und im Ausland gefeiert, sein Vater Generalmusikdirektor Herbert Kegel, war ein außergewöhnlich fortschrittlicher Dirigent und Chorleiter.

Zu seinem zehn Jahre älteren Halbbruder Uwe Hassbecker, als Gitarrist der Rockgruppe Silly bekannt, hat Björn Casapietra erst vor kurzem musikalische Bande geknüpft. Der Tenorsänger und der Rockmusiker: auf der Bühne des Nikolaisaales zeigen die ungleichen Brüder, dass musikalisches Schubladendenken heutzutage obsolet ist. Bei romantischen Balladen wie „Holy Waters“, „Hear my Prayer“ oder „Zephyr“ erzeugt Casapietras modulationsreiche Stimme, die hier warm, baritonal klingt, gemeinsam mit den gezupften Tönen von Gitarre und Klavier (Marita Mirsalimova von der Deutschen Oper Berlin) berauschenden Schmusesound. Keine Angst vor Pathos zeigt der Sänger beim Adagio aus Joaquin Rodrigos „Concierto de Aranjuez“ – und endet mit Händeklatschen und einem Lächeln. Bekannte Schmachtfetzen wie „Dein ist mein ganzes Herz“ singt er mit der gleichen Inbrunst wie ein genuesisches Volkslied oder eine spanische Zarzuela. Manchmal wechselt die Stimme in höchste Höhen, dann wieder ergeht sie sich tenoral schmelzend und schmetternd – und stets belohnen Beifallsstürme den glutvollen Gesang. Sein erklärtes Ziel, mit der Musik ins Herz zu treffen, erreicht Casapietra spielend. Dafür bekommt das Potsdamer Publikum auch viele artige Komplimente.

Für besonderen Glanz sorgt die reizende junge Sopranistin Olivia Safe. Die zierliche Engländerin verfügt über eine silbrig helle, kraftvolle Stimme, die mühelos in hohe Lagen gleitet und Leonard Bernsteins „I feel pretty“ genauso mitreißend intoniert wie das Lied an den Mond aus Dvoraks „Rusalka“ oder die Arie der Juliette „Je veux vivre“. Unschlagbar sind die Duette der beiden, seien es englische Balladen wie „Remember me“, Rossinis „La danza“ oder das zum Duo umfunktionierte Trinklied „Libiamo dei lieti calici“ aus La Traviata. Nicht nur stimmlich bilden die beiden ein schönes Paar. Das findet wohl auch Björn Casapietra, als er dem Publikum gesteht, dass er noch „nie was mit Olivia Safe hatte“. Und man versteht, dass die „Lieder der Sehnsucht“ für Björn Casapietra noch lange nicht zu Ende sind. Das Publikum wird ihm auch in Zukunft dafür dankbar sein.

Babette Kaiserkern

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