Kultur: Linien und Brüche
7. Frauenkulturtage in der fabrik mit Choreografien von Frauen
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7. Frauenkulturtage in der fabrik mit Choreografien von Frauen Unter dem Dach der fabrik hockt ein Fötus. Der Leib, der ihn schützt, ist aus einem Seil gebunden. Plötzlich lösen sich die Knoten, das Kind dreht und windet sich, drängt nach unten, hinaus ins Leben. Die Tänzerin Matilda Leyser entwickelt am Vertikalseil den Lauf der Dinge. In ihrem Stück wird das Seil zur Lebenslinie, auf der sich Kindheit, Pubertät, Erwachsenwerden und schließlich Alter und Tod deutlich nachvollziehen lassen. Was aber ist das Weibliche an dieser, an jeglicher Choreografie von Frauen? Die Wahl des Themas, eine weichere Körpersprache, größere Sinnlichkeit? Drei Tanzstücke verschiedener Choreografinnen boten zum Abschluss der Frauenkulturtage in der fabrik ausreichend Interpretationsfläche. Matilda Leyser legte mit „Lifeline“ den inhaltlich einfachsten Zugang. Eindeutig ihre am Seil inszenierten Bilder eines weiblichen Lebenslaufes: das unbefangen schaukelnde Kind, die Verpuppung des jungen Mädchens, die Befreiung daraus und der steile Aufstieg einer selbstbewussten Frau. Dann Schwangerschaft und Geburt, die eigenen Kinder und später die Rückkehr zu sich selbst in gestärkter Position. All das setzt Martina Leyser spielerisch um. In ihrer Akrobatik wechselt nur das Seil die Funktion, mal bietet es Schutz und Halt, dann wieder schnürt es ein und führt zu Verwicklungen, aus denen sie sich befreien muss. Am Ende fällt es knotenlos und schnurgerade zu Boden. Die Auflösung einer Lebenslinie. Mitten hinein in die manchmal ausweglos scheinenden Verstrickungen, die festgezogenen Knoten bohrt die Choreografie von Heike Hennig. Sie lässt die Tänzerin Friederike Plafki in dem Stück „Sosha“ unaufhörlich den Versuch unternehmen, souverän einen eigenen Weg zu gehen. An der Erde liegend ertastet sich die Tänzerin mit ausgestreckten Armen Zentimeter für Zentimeter, sie gewinnt Boden unter den Füßen, richtet sich auf, steht und – stürzt wieder hin. Ein kurzes Innehalten nur, eine gedankenverlorene Drehung um sich selbst - schon nimmt das Schicksal eine jähe Wendung und alles beginnt von vorn. Immer schneller wird der Kreislauf aus Aufstand und Fall, anstrengender und gehetzter wirkt das permanente Aufrichten und Standhalten. Schließlich versucht sie den Ausbruch, keucht und würgt. Heraus aber kommt nur ein heiserer, gequälter Ton. Konsequenter ist die Auflösung in Heini Nukaris Stück „Station Kautschuk“. Ein nacktes, scheinbar geschlechtsloses Wesen mit Gummistiefeln an den Füßen, kahl geschorenem Kopf, Sonnenbrille und geblähten Wangen erkundet den Raum. Zunächst ist es nur ein Lichtkegel, den es mit extrem langsamen Bewegungen ausfüllt. Dann verlässt es die sichere Zone, misst mit schweren Schritten Entfernungen ab. Die Musik gibt einen unruhigen Herzrhythmus vor, beschleunigt das Tempo und treibt die Kreatur schließlich in einen Mechanismus aus immer schneller werdenden, sich wiederholenden Abläufen. Hier aber gelingt der Ausbruch. Ein gellender Befreiungsschrei entwickelt sich zu einer eindringenden Melodie. Das Wesen setzt sich nieder, streift die Brille ab und nimmt die Kugeln aus dem Mund, die das Gesicht lähmten. In Erscheinung tritt – eine Frau. Antje Horn-Conrad
Antje Horn-Conrad
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