Kultur: Lob und Klage
Vocalise 2006: Vocalkreis Potsdam sang Carissimis Oratorium „Jephte“ in der Friedenskirche
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Welcher Potsdamer Chor nun der beste ist, soll an dieser Stelle nicht entschieden werden. In der Landeshauptstadt existieren mehrere Chöre, die sich unter der entsprechenden fachlichen Leitung auf sehr hohem Niveau bewegen. Beim dritten Konzert der Vocalise, diesmal in der Friedenskirche Sanssouci, konnte erlebt werden, dass der Vocalkreis Potsdam ganz sicher zu diesem Kreis gehört. Er gab ein anspruchsvolles Programm unter der Leitung von Matthias Jacob zum Besten, das a-cappella-Werken vom 16. bis 20. Jahrhundert sowie Giacomo Carissimis anspruchsvolles Oratorium „Jephte“ enthielt.
Dabei schien es zunächst, als ob der Auftritt unter keinem guten Stern stünde. Kurzfristig waren eine Solo-Sopranistin des Chors und die Violone-Spielerin ausgefallen. Überraschend schnell fand sich Ersatz. Den Sopran-Part des Erzählers in „Jephte“ übernahm Sopranistin Isabelle Voßkühler zusätzlich zu ihrer Partie. An der Violone, einem Vorläufer des Kontrabasses, stand Waltraud Gunz.
Zum Auftakt gab es den großen Lobgesang „Christ, der du bist der helle Tag“ in einer Fassung von Leonhard Lechner aus dem 15. Jahrhundert. Der Vocalkreis bildetete unter dem goldglänzenden Mosaik der Friedenskirche einen Halbkreis. Reich verschlungen, stiegen die polyphonen Gesangslinien auf und sanken als milde Klangwolken auf die Hörer hernieder.
Drei höchst unterschiedliche Marien-Gesänge folgten in klassisch-frontaler Aufstellung. Vierstimmig, opulent eingeleitet vom hohem Sopran, erklang der Lobgesang auf die Himmelskönigin von Gregor Aichinger. Mit „Salve Regina“ von Francis Poulenc ertönte ein neogregorianischer Choral, voller überraschender harmonischer Fügungen und Klänge bei gleichmäßig, ruhigem Duktus in großartiger Intonation und Phrasierung. Dramatisch bewegt und markant rhythmisch erscheint die musikalische Gestalt des selben Textes von Petr Eben, ein eher schroffes, jedoch dynamisches Stück.
Der junge Matthew Jones, ein gebürtiger Australier, erfreute die Zuhörer mit einigen Zwischenspielen auf der Theorbe, der großen Baßlaute der Renaissance. Sie bildete neben Violoncello (Kathrin Sutor) und Violone auch die stilgerechte Begleitung zum Oratorium „Jephte“ von Giacomo Carissimi. Die alttestamentarische Geschichte handelt vom grausigen Menschenopfer des Feldherrn Jephte, der Gott für einen Sieg über die Ammoniter niemand anderen als seine eigene Tochter opfert. Zwar hatte er das so nicht gewollt, doch er hält sich an sein Wort. Carissimis Vertonung folgt sehr stark dem antiken Diktum, dass Rhythmus und Harmonie den Worten folgen müsse. Rezitative und Sprechgesänge überwiegen, die Instrumente begleiten ausschließlich.
Doch die junge Sopranistin Isabelle Voßkühler veredelt mit ihrer frischen, klaren Stimme die herben Klagegesänge der Tochter ergreifend und ausdrucksstark. René Voßkühler gibt den Jephte, warm und klangschön, den Bass singt Markus Schütte, Mitglied des Vocalkreises, sehr überzeugend.
Hervorragend gelingt der sechsstimmige Schlussgesang des Chores: in innigem Klageton, wie man es heute nur selten zu hören bekommt. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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