Kultur: Lockere Zungen
Ein Stück Event-Kultur: Das kulinarische Spektakel Pasta Opera im Palmensaal im Neuen Garten
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Jeder Gast wird von einer Rokokodame mit einem Lächeln begrüßt, auf den weißgedeckten Tischen, darunter einige schlichte Biertisch-Garnituren, blitzen die Gläser und das Besteck. Die seit über zehn Jahren erfolgreich durch Deutschland ziehende „Pasta Opera“ hatte am Freitagabend Premiere in Potsdam. Wetterbedingt fand sie nicht wie geplant auf den Stufen des Marmorpalais, sondern im Palmensaal der Orangerie des Neuen Gartens statt. Was durchaus kein Nachteil war, sondern der Akustik zugute kam. Auch auf Temperatur und Stimmung der rund 150 Gäste hatte dieser Ort anheizende Wirkung.
Pasta Opera zelebriert Kochkunst, Oper und Konsum, ein Stück Event-Kultur, das typisch für unsere Zeit ist. Während früher streng zwischen Hoch- und Populärkultur getrennt wurde, auch zwischen geistigen und körperlichen Genüssen, lebt heute der Hedonismus. Schon lange gilt der Satz „Fun ist ein Stahlbad“, mit dem der Kulturkritiker Theodor W. Adorno in der Nachkriegszeit alles seichte Amüsement austreiben wollte, nicht mehr. Und kein Jean-Jacques Rousseau verdirbt mehr den Spaß mit kritischen Bemerkungen wie einst in seinem Essay über die Frage, ob die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste zur Läuterung der Sitten beigetragen habe.
Schnell kommen die Gäste im Palmensaal miteinander ins Gespräch, noch während die Korken ploppen und eine junge Dame im Rokokokostüm Mozartsonaten am Klavier spielt. Wohlgemerkt nicht an einem Flügel, aber immerhin unplugged und live. Eine wichtige Aufgabe der vier Sänger und der Moderatorin besteht in der Animation. Manchmal geht es dabei zu wie in einem Ferienclub auf Mallorca. Der Tenor überreicht den Damen schon mal eine Rose, es gibt vereinzelt Tänzchen mit Gästen, einem Herrn wird gesagt: „Wissen Sie, dass sie ein schöner Mann sind.“ Zwei männliche Gäste führen „spontan“ ein Duell mit Messern auf.
Zur Eröffnung des Buffets wird ein Marsch gespielt und alle klatschen dazu. Ganz zum Schluss darf einer dirigieren, während die Gäste mitsummen sollen – ausgerechnet zur Melodie des „Gefangenenchors“ aus Verdis „Nabucco“. Doch der Text spielt dabei keine Rolle. Eine Mischung aus Klamauk, Parodie und Pathos bestimmt das trendige Spektakel. Ein Schelm ist, wer dabei etwas Schlechtes denkt. Selbst dann, wenn die Arie der Königin der Nacht von zwei Sängern parodiert oder ein Terzett aus Beethovens „Fidelio“ gesungen wird.
Die Regisseurin Julia Regehr nennt es „Quodlibet“ – Oper des Lebens“. Man könnte auch Häppchenkultur im zweifachen Sinne dazu sagen. Von allem gibt es etwas, welcher Komponist, welche Geschichte oder welche Zeitepoche dahinter steht, ist völlig egal. Kein Programmheft weist daraufhin, ob nun Mozart, Beethoven, Verdi oder Rossini die Urheber der Musik waren. Auch die Namen der Sänger werden erst ganz zum Schluss genannt, dabei singen sie durchaus formidabel, sind durchweg junge, begabte Musiker.
Vier Gänge hat das Festmahl, für das die Küche der Villa Kellermann zeichnet, über vier Stunden vergehen dabei. Mit der Anzahl der geleerten Weinflaschen steigt auch die Stimmung. Doch erstaunlich genug, mitten im Getöse der gelockerten Zungen und flatterndem Zwerchfelle, gibt es ein paar besondere Momente. Plötzlich werden alle still und hören nur noch zu. Das geht so bei der großen Sopranarie der Wally aus Catalanis gleichnamiger Oper, bei Mozarts wundervollem Duett „La cì darem la mano“ und auch bei Donizettis berühmtem Tenor-Schmachtfetzen „Una furtiva lagrima“. Man meint zu spüren, wie die Zuhörer davon im Inneren bewegt werden. Wie schön, dass sich hier doch noch die Musik als strahlender Sieger zeigen kann.
Babette Kaiserkern
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