Kultur: Lockruf des Experimentellen Klangnacht mit Improvisationen um b-a-c-h
„Endlich“, sagt die Nachbarin zur Nachbarin. Ihre Gesichtszüge erhellen sich, sobald erkennbare Melodien im musikalischen Geschehen auftauchen.
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„Endlich“, sagt die Nachbarin zur Nachbarin. Ihre Gesichtszüge erhellen sich, sobald erkennbare Melodien im musikalischen Geschehen auftauchen. Ansonsten bleiben sie ratlos. Die Klangnacht bei den Potsdamer Bachtagen lädt zu später Abendstunde mit „Improvisationen um b-a-c-h“ in die Nikolaikirche. Doch nur wenige folgen dem Lockruf des Experimentellen. Vor den Altarstufen sind Pauken, Tom-Toms und kleine Trommel aufgestellt, hängen chinesische Gongs und Tamtams in Gerüsten, warten Holzblöcke und eine Kleinglockenreihe auf ihren Einsatz. Jürgen Groezinger ist Herr dieses Instrumentariums. Er handhabt es voller Lust und rhythmischer Raffinesse. Ihm zur Seite Nikolaikantor Björn O. Wiede, der den neuen Bechstein-Flügel und die frisch geweihte Altarorgel mit nicht weniger Leidenschaft traktiert. Man reagiert spontan auf den anderen, weiß oftmals nicht, ob und wann er enden wird. Nichts ist notiert, alles dem Zufall überlassen. Nach einem längeren Solo auf kleiner Trommel folgen kraftvolle Schläge und rhythmische Rührarbeiten auf Felle und Spannrahmen. Dann kommt das Xylophon an die Reihe, später ein Stahlstabspiel. Asiatische Tempelgongs klingen dumpf und trocken. Die Schwingungen überlagern sich, breiten sich im nachhallreichen Kircheninneren geradezu ausschweifend aus. In diese Schlagwerkmonologe mischt sich zunächst eher zögernd die Orgel ein. Zur Unterstützung steuert sie Diskantklänge bei; als Kontrastmittel röhrt und pustet das tiefe Pedal. Meditatives wechselt mit Perkussivem, wobei ersteres auch im weiteren Verlauf sich immer wieder die Oberhand gewinnt. Was das alles mit Bach zu tun hat? Im dritten Beitrag des aufeinander eingestimmten Duos klanghämmert Wiede auf dem Flügel das b-a-c-h-Motiv kraftvoll hervor, lässt ihm mannigfaltige Veränderungen und Verarbeitungen gleich einem „Musikalischen Opfer“ angedeihen. Irgendwann greift der Perkussionist ein und zum Rührbesen. Die Aktionen wirken etwas deplatziert. Ein längeres Klaviersolo erarbeitet sich dramatische Ausdrucksbereiche. Sie halten nicht lange an. Zaghaft sucht sich zuvor das Klavier eine Melodienquelle, an der es sich schlückchenweise labsalt, garniert von Paukenglissandi. Die Meditation hat uns wieder. Dann dient die Orgel erneut als Stichwortgeberin. Ihr höchster und tiefster Ton könnte durchaus einem HNO-Arzt zum Testen des Hörvermögens seiner Patienten dienen. Diese klangpartikularen Frequenzspielereien mit Singender-Säge-Garnierung sind nicht jedermanns Sache. Das Auditorium verkleinert sich zusehends. Dann wird es Grell, unterbrochen von eintönigem Motorengebrumm (per Orgel) und ostinaten Akkorden. Ein strapaziöser Abend. Peter Buske
Peter Buske
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