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Kultur: Lust am Fabulieren

„Sterne-Stunde“ mit Udo Samel und dem Kuss Quartett im Palmensaal

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Nicht die Dinge an sich, sondern die Ansichten über die Dinge brächten ihn in Verwirrung und Verlegenheit, lässt der englische Dichter und Haydn-Zeitgenosse Laurence Sterne im 1759 erschienenen Kultroman „Leben und Meinungen des Tristram Shandy, Gentlemen“ seinen Romanhelden einleitend räsonieren. Im weiteren Verlauf breiten sich weitschweifige Betrachtungen über Banalitäten. Alles in hübschen Schachtelsätzen, in denen es später Thomas Mann zur Perfektion bringen sollte.

Wohlgesetzt und bedeutsam scheint, was Laurence Sterne niedergeschrieben hat. Doch was will uns der Autor damit eigentlich sagen? Gar nichts! Die Lust am Fabulieren ist es, das Ausbreiten von Nichtigkeiten und Trivialitäten, Nebensächlichkeiten und Plattitüden, das Elefantwerden einer Mücke. Das mäandert über Seiten, gibt sich witzig, um wenig später als Seifenblase zu zerplatzen. Diesen Gestus bringt der renommierte Burgschauspieler, Film- und Fernsehmime Udo Samel vorzüglich zur Geltung, als er im vollbesetzten Palmensaal der Orangerie im Neuen Garten aus Sternes Überlegungen vorliest und sie zu einer zeitlich erweiterten „Sterne-Stunde“ werden lässt.

Lustvoll lässt Udo Samel des Fabulierers Gedankengänge auf seiner beweglichen, fehlerfrei artikulierenden Zunge zergehen. Für die diversen Personen hält er verschiedene Stimmfarben parat. Eine greisige für Onkel Toby und eine baritonmarkige für den Vater. Sprachmelodisch geht er zu Werke, erhebt den Nonsens in die Sphären göttlicher Kunst. So man es denn akustisch versteht, denn wer seitlich am Podium an der Fensterfront sitzt, hat mit dem Verstehen des ziemlich rasch Vorgelesenen seine Probleme. Den in den beiden Pflanzenhallen Sitzenden wird Samels Sprachkunst zusätzlich tontechnisch verstärkt.

Mit den Ansichten über die Dinge und damit verbundenem Wortwitz korrespondieren die musikalischen Beiträge aus Haydnscher Feder. Seine beiden Streichquartette op. 77 spielt das Kuss Quartett mit draufgängerischer Freude, in blitzsauberer, hemmungslos hell getönter und kristallklarer Tongebung. Klanglich sehr direkt, nahezu sportiv reizen sie die Werke aus. Zuerst die Nr. 2 in F-Dur, deren vier Sätze im Wechsel mit dem Wort erklingen. Die Entwicklung musikalischer Zusammenhänge und Formen durch die thematische Arbeit im aufeinander treffenden geistreich-witzigen wie auch beseelten Gespräch der vier Instrumente im vierstimmigen Satz lässt sich so nicht verfolgen. Dazu trägt mit bei, dass Primaria Jana Kuss gegenüber ihren Mitstreichern Oliver Wille (Violine), William Coleman (Viola) und Michael Hachnazarjan (Cello) oftmals sehr vorlaut und klangspröde in Erscheinung tritt. Im dritten Satz, dem sich sogleich das flotte Finale anschließt, ist endlich auch Wärme mit im Spiel. „Wäre ich ein Müllertier, also ein Esel, schrie ich beständig in G-Dur“: kaum gesagt, hebt das in gleicher Tonart stehende Streichquartett op. 77/I an. Nicht zerhackstückt, sondern komplett, in durchhörbaren Stimmverläufen und meist im Forte musiziert. Danach hat das Wort keinen Raum mehr, umso mehr der Beifall. Peter Buske

Peter Buske

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