Kultur: Lust an der Parodie
Der slowakische Pantomime Milan Sládek gastierte im Nikolaisaal
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Der slowakische Pantomime Milan Sládek gastierte im Nikolaisaal Von Dagmar Schnürer Zum Schluss, nach der Zugabe, zog Milan Sládek einen imaginären Vorhang zu und spielte Backstage: während sein Kollege Isidoro Fernandez mit einem Mob die Federn der Schwanensee-Parodie von der Bühne schob, eine Flasche Wasser in der Hand, griff sich Milan Sládek stöhnend ans Kreuz und schlurfte umher. Dann ließ er sich vom Kollegen eine Pille geben und spülte sie mit dessen Wasser herunter. Derart aufgeputscht riss er noch ein letztes Mal den (imaginären) Vorhang auseinander, um sich strahlend und mit hochgereckter Brust dem klatschenden Publikum zu präsentieren. Der berühmte Pantomime spielte mit dem, was seine Schwachstellen sein könnten. Zum einen mit seinem Alter, die Aufführung im vollen Nikolaisaal fand zwei Tage vor seinem 66. Geburtstag statt. Und zum anderen mit seinem Star-Gehabe. Außerdem leistet er sich Isidoro Fernandez, der immerhin Solokünstler und Dozent für Pantomime ist, quasi als „Nummern-Girl“, wovon sich Milan Sládek, der Star, wirkungsvoll abheben konnte. Der als Clown auftretende Isidoro Fernandez hatte die Aufgabe, vor jedem Spiel des Meisters den Titel, auf Tafel oder Stoff geschrieben, dem Publikum vor die Nase zu halten - und wieder zu verschwinden. Sládek auf der Weltkugel Sein Alter scheint Milan Sládek nicht einzuschränken, im Gegenteil. Schon der erste Auftritt im Dämmerlicht zeigte eine weißgekleidete und geschminkte Gestalt, die sich wie ein junger Mann bewegte und auf eine Weltkugel kletterte. Mit nackten Füßen tänzelte Milan Sládek hin und her, elastisch ging er zu Boden und wieder hoch. Er krabbelte, als den Boden scheuernde Dalila, auf den Knien umher und bog, als ertrinkender Ikarus, seinen Oberkörper aus der Hocke nach hinten, fast bis zur Erde. Nie wirkte Milan Sládek müde oder angestrengt. Aber oft wirkte sein Spiel so, als wolle er es möglichst schnell hinter sich bringen. Für magische Momente oder einfühlsame Langsamkeit nahm er sich nicht viel Zeit, sondern erzählte die Geschichten teilweise ungenau und spannungslos. Seit über vierzig Jahren hat sich der gebürtige Slowake bereits der Pantomime verschrieben. Nachdem Milan Sládek im Zuge der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ seine Heimat verlassen musste, etablierte sich der damals schon erfolgreiche Künstler 1974 in Köln mit dem Pantomimetheater KEFKA. Er ist Professor an der Folkwang-Hochschule in Essen und erhielt viele Auszeichnungen. Im Nikolaisaal gelangen dem Pantomimen die Momente der Komik am besten. Als er mit einem zum Knäuel verknoteten Endlosregenwurm versehentlich einen Wal angelte oder als Salome feststellte, bei genauerer Körperuntersuchung, dass die eigene Schönheit schon eine Weile zurückliegen muss. Manchmal verrutschte die Komik ins Derbe, was einen seltsamen Kontrast zu der feinen Kunst der Pantomime bildete. Schwanensee Bis zur Zugabe musste das Publikum jedoch warten, um eine mit voller Lust gespielte Nummer zu erleben. Es war die Parodie auf das Schwanensee-Ballett, bei der Milan Sládek sich ausleben konnte und feine Nuancen und magische Spannung keine Rolle spielten. Statt dessen ging es darum, mal den Dirigenten, mal eine Ballerina unter vielen, mal die Harfenspielerin und mal den jugendlichen Helden zu karrikieren. Der sterbende Schwan sank zur Seite, weil er das Gleichgewicht verlor und der jugendliche Held bekam die Partnerin nicht vom Boden hoch. Die Ballerina trippelte im Seitschritt von rechts nach links und plauderte mit den Kolleginnen oder rächte sich effektiv für ein ihr gestelltes Bein. Darüber rauschte Tschaikowskis Musik, im Hintergrund war ein romantischer Mondschein-Prospekt entrollt worden und Milan Sládek hüpfte immer wieder hinter die Soffitten, um eine handvoll Federn oder das Tüllröckchen zu holen. So wurde besonders der Schluss des Abends im NIkolaisaal zu einem gelungenen Ereignis, das das gemischte Publikum von Jung und Alt erfreute.
Dagmar Schnürer
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