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Kultur: Lust an der Vergangenheit

Martin Sabrow sprach über die Garnisonkirche im deutschen Gedächtnis

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Auch wenn eine wieder aufgebaute Garnisonkirche immer nur „Fälschung“ bleiben wird, sie könnte zu einem „Symbol versöhnender Erinnerung“ werden.

Über „Die Garnisonkirche im Gedächtnis der Deutschen“ sprach Martin Sabrow am Donnerstag vor knapp 40 Gästen in der Ausstellung zur zerstörten Kirche in der Breiten Straße. Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung und Professor an der Universität Potsdam, untersucht in einem aktuellen Forschungsprojekt den „Tag von Potsdam“ und dessen Karriere zu einem politischen Symbol. Und so war es für die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam e.V. fast schon zwingend, eine Woche bevor sich besagter Tag von Potsdam zum 74. Mal jährt, den Experten Sabrow zum Vortrag zu laden.

Vier Traditionsstränge, die die Gedächtniskultur zur Garnisonkirche prägen, nannte Sabrow am Anfang seiner Ausführungen. Da wäre der Aufstieg der Kirche zu einem preußischen Erinnerungsort im 18. und 19. Jahrhundert, der Tag von Potsdam am 21. März 1933, die teilweise Zerstörung am Ende des Zweiten Weltkrieges und die endgültige Zerstörung im Jahr 1969 und die jüngsten Bestrebungen zum Wiederaufbau der Garnisonkirche als Akt „historischer Wiedergutmachung“. Sabrow beschränkte sich auf den Tag von Potsdam und den Bemühungen um einen Wiederaufbau.

Gerade der 21. März 1933, an dem in der Garnisonkirche der neu gewählte Reichstag feierlich eingeweiht wurde und der gemeinsame Auftritt von Reichspräsident Hindenburg und Adolf Hitler den Zusammenschluss des deutschen Konservativismus mit der nationalsozialistischen Bewegung besiegelte, gilt bis heute als prägendstes Erinnerungsmoment, das mit der Geschichte der Garnisonkirche verbunden wird. Der Historiker Friedrich Meinecke bezeichnete diesen Tag als „Potsdamer Rührkomödie“. Und noch heute wird dieser 21. März oft als Paradebeispiel für ein perfekt inszeniertes Schauspiel bezeichnet, überladen mit politischen Symbolen, in dem Propagandaminister Joseph Goebbels den Führer Adolf Hitler in glanzvollem Licht präsentierte.

Sabrow zeigte an zahlreichen Beispielen, was in der Geschichtswissenschaften seit Jahren als Konsens gilt: Von einer perfekten Inszenierung durch die Nationalsozialisten am Tag von Potsdam kann keine Rede sein. Da ist die kurzfristige, fast übereilte Auswahl der Garnisonkirche als Ort des Festaktes, das dominierende Auftreten Hindenburgs, das Hitler „ziemlich blass aussehen ließ“. Und da ist das berühmte Foto vom angeblichen verbündenden Handschlag zwischen Hindenburg und Hitler, das bis vor kurzem noch als Chiffre für den Zusammenschluss des deutschen Konservativismus mit dem Nationalsozialismus galt und in Wirklichkeit die Verabschiedung der beiden voneinander vor der Kirche zeigt.

Ein gewandeltes Geschichtsbild von der Perspektive der „Helden“ hin zu der der Opfer in Verbindung mit einem Zukunftspessimismus aus dem eine „Vergangenheitshoffnung“ resultiere, nannte Sabrow als Gründe für die Bemühungen um einen Wiederaufbau. „Eine Lust an der Vergangenheit, die nicht naiv ist“, so Sabrow. Sie sei frei von politischer Diktion, der es um eine Wiedergutmachung gegenüber einer geschundenen Stadt gehe. Denn die DDR-Obrigkeit rechtfertigte die Sprengung der Kirchenruine damit, ein Symbol der Rückständigkeit und des Faschismus zu beseitigen. Von derartigen Rechtfertigungen sei der angestrebte Wiederaufbau nicht getrieben. Nachdenken über Geschichte sei das Gebot. Und darum könne eine wieder aufgebaute Garnisonkirche zu einem „Symbol versöhnender Erinnerung“ werden. Dirk Becker

Dirk Becker

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