Kultur: Lustbetont und ausdrucksstark Matthias Jacobs Konzert in der Friedenskirche
Hat Matthias Jacob je gezählt, wie oft er in den 32 Jahren seiner nun zu Ende gehenden Amtszeit als Kirchenmusiker der Friedenskirche die 32 Stufen zur Orgelempore emporgestiegen ist? Wohl kaum.
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Hat Matthias Jacob je gezählt, wie oft er in den 32 Jahren seiner nun zu Ende gehenden Amtszeit als Kirchenmusiker der Friedenskirche die 32 Stufen zur Orgelempore emporgestiegen ist? Wohl kaum. Aber stets gab ihm der Aufwärtsgang noch eine letzte Möglichkeit der inneren Sammlung für jene Organistentätigkeit, die ihm stets Lust, nie Last war. Man merkte es seinem Spiel über die Jahrzehnte hinweg an, mit dem er den Hörern eine Mischung aus seelenerbaulicher, leidenschaftlicher Tiefgründigkeit und freudiger Entspannung bot. So auch bei seinem Orgelsommer-Auftritt am Mittwoch in der Friedenskirche. Nachdem Matthias Jacob sich im Januar mit der Aufführung der Kantaten 4 bis 6 aus Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ als Kantor verabschiedet hatte, nun also sein letztes offizielles Konzert als Friedenskirchen-Organist. Am Morgen des Spieltages zog er sich, so ließ er dem Publikum mitteilen, eine Verletzung des rechten Zeigefingers zu. Würde er mit diesem Handicap die Facetten seines gestaltungsintensiven Könnens erneut vorstellen können?
Zu Beginn spielt er Johann Sebastian Bachs ganz im französischen Stil verfertigte Fantasia G-Dur BWV 572. Den ersten Satz lässt er als ein gleichsam Celesta-ähnliches Glasperlenspiel erklingen: tröpfelnd und taufrisch, von enormer Leichtigkeit und Lieblichkeit. Abrupt setzt ein Pedalakkord ein Ausrufezeichen, dann beginnt im vollen Orgelwerk das strahlende Brausen des zweiten Satzes. Der dritte knüpft aus arpeggiohaften Figurationen klang-prächtige Girlanden. (Zur Erinnerung: Am Mittwoch voriger Woche hatte der Münchner Franz Lörch in der Erlöserkirche eine martialische Lesart dieses Stückes vorgestellt.) Kontrastdramaturgisch sorgen fünf kurze Piecen aus der 1635 in Venedig erschienenen Sammlung „Musikalischer Blumen“ (Fiori musicali) von Girolamo Frescobaldi für gedankliche Entspannung. Ob schlicht, verspielt oder schmerzvoll: Immer zieht Matthias Jacob plausible Register.
Auch für Bachs „Dorische“ Toccata und Fuge BWV 538, jenem Wunderwerk an satztechnischer Kunst. Das kontrapunktische Geflecht breitet er überschaubar im gleichmäßigen Metrum und in einheitlicher Registrierung aus. Was mit mathematischer Genauigkeit niedergeschrieben ist, erfüllt er mit innerem Leben und steigert es schließlich zu glanzvoller Größe. Franz Liszts transkribierter Pilgerchor aus Richard Wagners „Tannhäuser“ erweist sich in Matthias Jacobs Deutung als kurz phrasierte, antiwabernde Hommage an den Jahresjubilar, ohne dabei auf theatralische Wirkungen verzichten zu müssen. Dagegen präsentiert sich Frank Martins Passacaille (1944) als überaus farbenreiche, im sinfonischen Sound einherschreitende Folge von sich chromatisch steigernden Variationen. Eine mehr als eindrucksvolle Wiedergabe erfährt abschließend Max Regers „Introduktion und Passacaglia“ d-Moll, von der er selbst sagte: „ich habe es absichtlich nicht schwer gemacht So wie die Passacaglia ist, muss sie jeder nur einigermaßen geübte Organist vom Blatt spielen können.“ Doch Reger-Spezialist Matthias Jacob gehört nicht zu dieser Kategorie, denn er kann mehr: des Spätromantikers extrem übersteigerten Ausdruck in einen lebendigen, seelisch bewegten Vortrag münden zu lassen. Intensivem Beifall dankt Mathias Jacob mit der „Nimrod“-Zugabe aus Edward Elgars „Enigma“-Variationen. Eine Ära ist mit dem Ruheständler in spe zu Ende gegangen. Peter Buske
Peter Buske
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