Kultur: Lüster aus der Lützelburg
Das Potsdam-Museum erwarb wertvolles Beispiel bürgerlicher Wohnkultur für seine Sammlungen
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In einer Wohnwelt der Erinnerungen lebte bis zum Frühjahr Renate Schäfer. So, wie ihre Eltern Reichsarchivrat Karl Heinrich Schäfer und Barbara Schäfer die Villa in der Sophienstraße (heute Meistersingerstraße) 2 in den 20er Jahren als eindrucksvolles Beispiel bürgerlicher Wohnkultur eingerichtet hatten, präsentierte sie sich noch acht Jahrzehnte später: im Speisezimmer unter dem reich verzierten Kronleuchter der große Esstisch, der mit kostbarem Porzellan und einem 90-teiligen Silberbesteck eingedeckt wurde, das Musikzimmer mit dem vieltönenden Harmonium, dazu Gemälde, Spiegel, ein Konsoltisch mit Marmorplatte, Nippes und Gläser ... Die Skulptur eines Ritters erinnert an die Forschungen des Hausherren zur Geschichte der Mark Brandenburg im Mittelalter.
Die als Musikerin bekannt gewordene Renate Schäfer musste vor einigen Monaten aus Alters- und gesundheitlichen Gründen in ein Seniorenheim wechseln. Damit drohte die Gefahr, dass die Wohnungseinrichtung in alle Winde verstreut wird. Ihr Wert liegt aber nicht vorrangig in den Einzelstücken, sondern als Ensemble bürgerlicher Wohnkultur. Der von Propst Karl-Günter Müller geleiteten Katholischen Pfarrgemeinde St. Peter und Paul, der Renate Schäfer ihren Nachlass überschrieben hat, und dem von Markus Wicke geleiteten Förderverein des Potsdam-Museums gebührt deshalb Dank, dass sie die Zersplitterung verhindert haben. Der Verein rief zu einer Spendenaktion auf, um mit Einverständnis der Kirchengemeinde das Inventar anzukaufen. Dies gelang, auch dank hoher Einzelspenden durch den FDP-Bundestagsabgeordneten Heinz Lanfermann, seine Ehefrau Ellen Chwolik-Lanfermann, Vorsitzende Richterin am Landgericht Potsdam, sowie den Ärztlichen Direktor des St.Josefs Krankenhauses Eckart Frantz, bisher für das komplette Speisezimmer und Teile des Musikzimmers. Das übrige Inventar wurde reserviert, dafür fehlen dem Förderverein noch 4500 Euro. Markus Wicke rief deshalb zu weiteren Spenden auf (Spendenkonto MBS Potsdam, BLZ 160 500 00, Kto.Nr. 350 301 65 96, Stichwort Schäfer).
Gestern war im Museumshaus Benkertstraße 3 eine Ausstellung mit ausgewählten Stücken der Neuerwerbung und von der Pfarrgemeinde zur Verfügung gestellten Text-Bild-Tafeln über Karl Heinrich Schäfer eröffnet worden. Mehr lässt die ungeklärte Raumfrage für das Museum nicht zu. Dennoch ist Leiter Hannes Wittenberg hoch erfreut, dass er in die Sammlungen erstmals ein komplettes Beispiel bürgerlicher Wohnkultur aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg einordnen kann. Es soll in einer Sonderausstellung gezeigt werden und in einer späteren Dauerausstellung im neuen Domizil einen Ehrenplatz erhalten.
Sie wird dann aber nicht allein die Wohnkultur der Schäfers demonstrieren. Wie der Historiker Peter Riedel, Universität Potsdam, erläuterte, war Karl Heinrich Schäfer auch ein bedeutender Regionalhistoriker und wurde Opfer des nationalsozialistischen Regimes.
Bereits 1896 bis 1899 beim Bornstedter Pfarrer Carl Pietschker als Hauslehrer angestellt, unterrichtete er dessen Sohn Werner Alfred, später einer der ersten deutschen Flieger, der 1911 bei einem Absturz ums Leben kam. 1920 wurde Schäfer vom Reichsarchiv in Potsdam angestellt. Der zum Katholizismus übergetretene Historiker blieb dort ein Außenseiter, zumal er mit Vehemenz seine religiösen Überzeugungen vertrat. 1934 wurde er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt und widmete sich fortan verstärkt den Forschungen zur Regionalgeschichte. Die Nazis verweigerten zu seinem 70. Geburtstag die Herausgabe einer Festschrift.
Nach Denunzation einer Hausangestellten wurde Schäfer wegen des Abhörens von „Feindsendern“ und „planmäßger Zersetzungsarbeit“ 1943 zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt und anschließend ins KZ Sachsenhausen eingeliefert, wo er Anfang 1945 den unmenschlichen Haftbedingungen erlag. Sein Leichnam wurde verbrannt, er besitzt keine Grabstätte. Im Garten der Hauses Meistersingerstraße 2 erinnert jedoch eine Gedenktafel an ihn. Die Villa, die er auf Wunsch seiner aus Luxemburg stammenden Frau „Lützelburg“ (landessprachliche Bezeichnung für den Staat und die Hauptstadt) benannt hatte, war in den 20er und 30er Jahren Treffpunkt des Potsdamer Bildungsbürgertums und zahleicher prominenter Zeitgenossen wie der Maler Max von Poosch-Gablenz und Heinrich Basedow oder des Schauspielers René Deltgen.
Auf der gestrigen Vorstellung im Museumshaus kündigte die Fachbereichbeleiterin für Kultur und Museum Birgit-Katherine Seemann seitens der Stadtverwaltung an, dass auch der schriftliche Nachlass Karl Heinrich Schäfers erschlossen werden soll. Dabei wollen Pfarrgemeinde, Museum und Universität zusammenwirken. Peter Riedel erklärte, die Mediavisten der Potsdamer Uni gingen dem positiven Ansatz Schäfers nach, das Mittelalter in der Mark Brandenburg sei keineswegs nur eine Zeit der Kriege, des Hungers und der Seuchen gewesen.
Propst Klaus-Günter Müller nutzte die Veranstaltung zu einer Klarstellung: Der Erlös aus der Haushaltsauflösung werde keineswegs von der Pfarrgemeinde vereinnahmt, wie in Presseberichten angedeutet worden sei, sondern komme voll Frau Renate Schäfer zugute.
Erhart Hohenstein
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