
© Manfred Thomas
Von Gerold Paul: Lüsterne Trauerarbeit
Premiere des K+K-Sommertheaters in der Manége mit Tschechows Einakter „Der Bär“
Stand:
Die Premiere zum diesjährigen Sommertheater des K+K-Event fand wegen regelwidrigen Wetters diesmal drinnen statt, genauer dort, wo schon Michael Klemms Comédie Soleil in Notzeiten dankbaren Unterschlupf fand, in der Manége. Auch hier funktionierte die kleine Guckkastenbühne des Berliner Architekten Klaus Schwerk für Anton Tschechows Einakter „Der Bär“ natürlich, eine transportable Kulissenblende, wenig Versatzstücke.
Darin nun also saß und seufzte, schwarz verschleiert, die Witwe Popowa (Corinna Mann) ihrem toten, ungetreuen Gatten nach. Auch ihr alter Diener Lukan (Klaus A. Müller) konnte ihr den Gram nicht ausreden, denn sie hatte dem Toten vor sieben Monaten schon Treue „bis zum Grabe“ versprochen. Schönes Detail: der mit Taschentüchern vollgestopfte Papierkorb. Doch wie das im Leben so ist, es darf bei solchen Schwüren eben nichts dazwischenkommen. Hier nun polterte der benachbarte Gutsbesitzer Smirnow (Rüdiger Rudolph) grobschlächtig in ihren verheulten Salon herein, ein Waldschrat und Bär von einem Mann. Er fordert, lange nach dem Tod seines Gläubigers, eine Riesensumme von der schlanken Trauerwitwe ein, doch sie kann im Moment nicht zahlen. Was geschieht in dem 1888 zu St. Petersburg uraufgeführten Stück? Er setzt sich nieder, bis sie zahlt. Klar, dass man sich da irgendwie näher kommt.
Das „K + K“ im Event will auf „Küche und Kreationen“ hinaus. Schön, dass man Aufführung und Gastronomie jetzt zu trennen und doch so hoch zu schätzen versteht, man hatte sich ja für diesen Anlass extra eine „kleine russische Vorspeisenplatte“ ausgedacht, den Bärenhunger der siebzig Besucher zu stillen. Der Theatervorstellung tat diese Aufteilung jedenfalls gut, etliche Vorhänge und ein vollständig zufriedenes Publikum waren jedermanns Lohn. Lena Lessing, Schauspielerin und Regisseurin, hat nicht nur dieses theatralische Kleinod fürs „K + K“ eingerichtet, sie schrieb dem Haus im letzten Jahr auch eine „Weihnachtsfantasie“.
Für psychologische Feinheiten, wie „Der Bär“ sie dem Schauspieler abfordert, zeigte sie ein teils gutes Händchen. Anton Tschechow (1860-1904) war ja nicht nur ein begnadeter Prosaist, sondern auch ein vorzüglicher Stückeschreiber, an dem sich ganze Generationen von Theaterleuten die Zähne ausgebissen haben. Für seinen Einakter wählte er eine betont kontroverse Struktur, sie war mit Schauspiel und Leben aufzufüllen: Eine Witwe (seufzend, aber geschminkt) entschlägt sich trotz aller Vorsätze ihrer Trauerarbeit, ein erklärter Frauenfeind verfällt ihrem Charme im dramaturgischen Crossing over vollkommen. Der Autor nannte sein Dramolett ganz richtig „Schwank“, Lena Lessing schrieb leider „Scherz“ darüber.
Nachdem sich die beiden Antagonisten zum Vergnügen der Zuschauer unter dem riesigen Lüster ordentlich angegiftet und beinahe mit Pistolen duelliert hatten, näherte man sich einander zügig an. Ein Busserl, Abgang Hand in Hand, ein Schluss ohne doppelten Boden. Wo war denn die eingeforderte „Zahlungsmoral“, wo der Treueschwur bis in den Tod, blieben denn keine offenen Stellen? Corinna Mann und Rüdiger Rudolph taten im ersten Teil des Vierzigminuten-Spiels sehr viel, Wände und Mauern gegen den anderen aufzurichten. In diesem Geschlechter-Clinch gab es gleichsam „viel Untertext zu sehen“. Smirnow wandte sich, ob seiner männlichen Emanzipation, auch mehrmals hilfesuchend ans Publikum. Schöne Szenen. Und dann ging alles so glatt. Ein paar Blicke, Hände, ein bisschen gespielte Empörung, Rüdiger Rudolph (machte sie ihn butterweich oder er sich selbst?) vergaß, seinen inneren Poltrian noch einmal zu aktivieren, die Popowa schaute das Porträt ihres Gatten nicht mal mehr an.
Es war, als hätten die Antagonisten ihre Vorgeschichte vergessen. Wenn schon nicht sie, so wäre es Lukans Aufgabe gewesen, das Publikum daran kommentierend zu erinnern. Leider blieb Klaus A. Müller zum Ende hin ohne Aufgabe, also Profil. Die alten Probleme, wenn man Tschechow gibt: Bei ihm sind auch die Nebenfiguren sehr wichtig. Man kann ihm also gar nicht treu genug sein. Doch auch der Trost ist hier beständig: Er funktioniert eigentlich immer, drinnen wie draußen, und allen Schwächen beinah zum Trotz.
Bis zum ersten Juli-Wochenende jeden Sonnabend und Sonntag in der Manége, im Innenhof des Kutschstalls, Am Neuen Markt, 20 Uhr.
Gerold Paul
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