Kultur: Lustvoll lasziv
Sinfoniekonzert des Collegium musicum
Stand:
Der Vorverkauf sei ziemlich schleppend verlaufen, sorgt sich der Dirigent Knut Andreas anfangs doch ein wenig. Doch die Potsdamer lassen ihr Sinfonieorchester Collegium musicum nicht im Stich, füllen am Wochenende allmählich und bis kurz vor Konzertbeginn die Babelsberger Friedrichskirche am Weberplatz mit genügend Zuhörern vom Baby bis zur Oma. Ein Familienabend wissbegieriger oder nur neugieriger, sicherlich auch kennerhafter Menschen, die sich erwartungsfroh und andächtig lauschend der reizvollen Programmzusammenstellung hingeben wollen. Sie alle werden nicht enttäuscht. Zur Einstimmung und zum Warmspielen wählt die Liebhabergemeinschaft Auszüge aus der gefühlsstarken Musik von Nino Rota zum breitwandverfilmten Tolstoi-Opus „Krieg und Frieden“.
Mit geballter Klangmasse führt die Introduzione in das Geschehen ein. Zitate der Marseillaise ringen mit denen der Zarenhymne, wobei alles gleichsam zu einem Cinemascope-Klang verschmilzt. Im Eifer des Gefechts bleibt mancher sicher geglaubte Trompetenansatz leider auf dem Schlachtfeld zurück. Dann schwebt gefällig und opulent ein Walzer vorüber, singt sich „Die Rose von Nowgorod“ breit aus, unterstützt von konzertmeisterlicher Saitensentimentalität und seelenvollen Hornrufen. Die Schluss-„Nº 73“ beschwört kecke, graziöse, fröhliche Erinnerungen herauf, die ebenso musiziert werden, ehe sich das Klangpanorama ins Hymnische wendet.
Dem folgt die Uraufführung des Klarinettenkonzerts op. 179 von Gisbert Näther, das sich als eine hinreißend spielfreudige, ohrenfreundliche Novität entpuppt. Dem Solisten bietet sie von Anfang bis Ende dankbarstes Notenfutter. Der Ex-Kammerakademist Matthias Simm geht in diesen modernen, von modernistischen Klangexperimenten verschonten Klängen restlos auf, kann die enorme Bandbreite des Instruments mit ausgezeichnetem Blaskönnen ausreizen.
Am Beginn steht eine kapriziös aufsteigende Klarinettenlinie, die an Straussens Streiche des Till Eulenspiegel erinnert. Das Orchester liefert lyrische Zutaten, dann gewinnt Kapriziöses erneut die Oberhand. So pendelt es ständig hin und her, formt sich zu einer witzigen Wechselrede. Das Adagio hält einen faszinierenden Klangfarbenreichtum bereit. Tiefenlastige Klarinettenausflüge wechseln mit fahlen Episoden, wispernde Geigen und solistischer Höhenausflug sorgen für Gespenstisches. Das Orchester wälzt und knetet sehr erfolgreich Dissonanzenmasse, stürzt sich geradezu lustvoll in die Laszivität eines Tango. Der dritte Satz quillt vor instrumentatorischen Finessen nur so über. Tänzerisch Beschwingtem folgt rhythmisch Vorantreibendes, gepaart mit Klezmerklang. Das alles changiert, pulsiert, sprüht vor Virtuosität, singt von Klage und Verzweiflung. Der anwesende Komponist kann sich gemeinsam mit Dirigent, Solist und Orchester über den überaus erfolgreichen Taufakt freuen.
Der 22-minütigen Kurzweil folgt Peter Tschaikowskys 2. Sinfonie c-Moll op. 17 und eine herbe Enttäuschung. Obwohl die Musiker mit Lust und engagierter Leidenschaft, der Dirigent mit anspornender und präziser Zeichengebung bei der Sache sind, können die klanglichen Ergebnisse nicht immer mit den entsprechenden Erfordernissen mithalten. An Ausdruck für Folkloristisches, Hymnisches, Marschartiges und Gravitätisches mangelt es ihnen nicht, jedoch unüberhörbar an sauberer Intonation. Das Publikum kümmert’s wenig, es feiert alle Beteiligten ausgiebig. Peter Buske
Peter Buske
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