zum Hauptinhalt

Kultur: Lustvoll über die Stränge schlagen Ophélie Gaillard und ihr Pulcinella Orchestra

Wenn im 18. Jahrhundert vom „großen Bach“ gesprochen wurde, war nicht Johann Sebastian gemeint, sondern sein Sohn Carl Philipp Emanuel.

Stand:

Wenn im 18. Jahrhundert vom „großen Bach“ gesprochen wurde, war nicht Johann Sebastian gemeint, sondern sein Sohn Carl Philipp Emanuel. Er war einer der Hauptvertreter des Empfindsamen Stils und stand 28 Jahre lang als Cembalist und Kammermusiker im Dienst Friedrichs des Großen, ehe er für zwei Jahrzehnte als städtischer Musikdirektor in Hamburg wirkte. Am 8. März jährte sich der Geburtstag von Carl Philipp Emanuel Bach zum 300. Mal. Im Jubiläumsjahr stellen die PNN regelmäßig Neuerscheinungen mit Werken des „großen Bachs“ vor.

Dem Vater hat sie schon die Referenz erwiesen, nun endlich auch dem Sohn. Nach den Cellosuiten und Arias von Johann Sebastian Bach hat sich die französische Cellistin Ophélie Gaillard mit ihrem Pulcinella Orchestra nun Carl Philipp Emanuel Bach zugewandt. Neben den Cellokonzerten in a-Moll und A-Dur hat Ophélie Gaillard die Sinfonia Nr. 5 in h-Moll und die Triosonate in c-Moll mit dem Beinamen „Sanguineus et Melancholicus“ eingespielt. Ihrem schlicht mit „Carl Philipp Emanuel Bach“ (Harmonia Mundi) betitelten Album hat sie das Zitat „Er ist der Vater, wir die Kinder“ von Wolfgang Amadeus Mozart vorangestellt. Und schon mit den ersten Takten im Allegro assi des Cellokonzerts in a-Moll geben Ophélie Gaillard und ihre Musiker eine Ahnung davon, was Mozart hier so klar und gleichzeitig so ernüchternd auf den Punkt brachte.

Klar, schwungvoll und enthusiastisch gibt das Pulcinella Orchestra hier den Auftakt, kann sich aber genauso schnell wieder zurücknehmen, um so dem dezenten Spiel des Pianofortes genug Raum zu geben. Und in diesen 60 Sekunden, bevor Ophélie Gaillard mit ihrem Cello die Führung übernimmt, passiert so viel in dieser Musik. Ein verspielt-lustvoller Rückgriff auf den Barock, gleichzeitig aber auch ausgiebige Ausschweifungen in der selbstbewussten Empfindsamkeit. Hier ist der Hörer von der ersten Sekunde wie unter Spannung gesetzt und erlebt einen Komponisten, der mit jedem Satz einen eigenen Kosmos zu schaffen verstand.

In Ophélie Gaillard hat er eine treffende Interpretin gefunden. Der Ton auf ihrem Cello von Francesco Goffriller, erbaut 1737, ist sehnig und kraftvoll-schön und von einem beseelenden, leicht trockenen Touch, der in den Solopassagen seine wunderbarsten Entfaltungen findet. Mal elegisch, mit einem gesunden Maß an schwelgerischem Pathos, dann wieder mit leichtfüßiger Virtuosität im Ausbruch heftigster Gefühle. Spielt Ophélie Gaillard die Musik von Carl Philipp Emanuel Bach, dann mit einer Helligkeit, die in ihren besten Momenten förmlich zu strahlen scheint. Mit ihrem 2005 gegründeten Pulcinella Orchestra hat sie 15 Musiker gefunden, die ihre Sprache sprechen und kongenial umsetzen, was sie an Ideen und Inspiration vorgibt. So werden hier Empfindungen aufs Schönste freigesetzt und wird musikalisch-gekonnt immer wieder über die Stränge geschlagen. Ein Carl Philipp Emanuel Bach, an dem man sich einfach nicht satthören möchte. Dirk Becker

Dirk Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })