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Kultur: Lustvolle Verkündigungen

TangoKlezmer-Treffen mit Giora Feidman & Co in St. Nikolai

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TangoKlezmer-Treffen mit Giora Feidman & Co in St. Nikolai Von Peter Buske Ganz von fern wehen leise Töne in das Kirchenschiff. Die klarinettistischen Klagelaute werden kaum lauter, als Meister Giora Feidman den (Golgatha-)Weg durch die Mitte zum Altarraum beschreitet. Fast unglaublich, was da – am Rande des fast Unhörbaren – erklingt. Es strahlt eine Ruhe und zu Herzen gehende Wirkung aus, der sich wohl keiner in der gut besuchten Nikolaikirche entziehen kann und mag. Feidman, umjubelte Legende und Institution, lässt die Zuhörer einen Ton anstimmen und (zusätzlich zum Bandeinspiel) lange aushalten. So entsteht ein vielstimmiger Summchor. Auf diesem Fundament ertönt dann der Klarinettengesang des Gurus. Was er produziert, ist kein bloßes Instrumentalspiel, sondern die lustvolle Verkündigung eines Lebensgefühls. Tango und Klezmer sind die Eckpfeiler seines gefälligen Programms, das keine Grenzen zwischen den Gattungen kennt. Die Titel fließen nahtlos ineinander. Dabei scheint es, als träfe sich Tangokönig Astor Piazolla mit einem unbekannten Klezmer-Musiker auf dem Dorfanger in einem osteuropäischen Schtetl und tauschte Gedanken über Folklore, Gott und die Welt aus. Zwischendurch legt man eine kesse Sohle aufs Parkett, spottet über den Tonfall eines „Rabbi Montenu“, lässt sich von Gitarrenattacken zu Tanzenslust animieren. Als Dolmetscher dienen ihnen Giora Feidmann und dessen begeisterungsfähige Musiker, die ihre Instrumente ebenfalls meisterlich beherrschen und in virtuosen Soli davon künden. So hat sich Kontrabassist Ken Filiano eine Improvisation in seine kraftvoll zupfenden und brillant streichenden Finger geschrieben, die vor Flageoletts, Pizzikati und Streicharbeiten in hohen Lagen nur so strotzt. Gitarrist Aquiles Baez begeistert mit seinem meditativen, griffvirtuosen und rhythmisch vertrackten Zupftanz „Pray“ genauso wie Bandeonist Raul Jaurena, der sich als kunstvoll-eleganter Fingerartist an den Knöpfen seines Instruments erweist und die Spannweite von elegisch bis lebensberstend auszudrücken versteht. Davon erzählt auch seine anrührende Komposition „Musical Dream“, deren leiser, sehnsuchtsvoller, von Melancholie umflorter Instrumentalgesang schließlich in ausufernde Fröhlichkeit mündet. Über all dem schwebt Giora Feidmans genialische Kunst, allein mit dem Klarinettenklang die menschliche Stimme in allen erdenklichen Stimmungslagen mühelos und witzig nachahmen zu können. Er mache nur Musik, sagt er bescheiden, und singt dennoch Gefühle, wie sie ein Sänger kaum besser zustande brächte. Er lässt sein Instrument klagen und kichern, quaken und quietschen wie eine Ente, jubilieren und jauchzen, lachen und lamentieren. Inniger und kantabler hat der Kundige das Solo des Adagio-Satzes aus Mozarts Klarinettenkonzert KV 622 sicherlich noch nicht gehört. In dieser recht eigenwilligen Bearbeitung zur Kontrabass- und Gitarrenbegleitung ist das Publikum aufgefordert, die Melodie als Vokalise mitzusingen. Es hört sich wie ein Gemeindegesang an. Manchen mochte solches als Frevel erscheinen. Doch was aus der Stimmung des Augenblicks geboren war, verfehlte nicht seine Wirkung. Und einzig darum geht es Giora Feidman an diesem gemeinsinnstiftenden Abend. Als es fast soweit ist, dass man in Mozarts Romanzenseligkeit zu ertrinken droht, folgt der abrupte Wechsel in die Synkopenreize von Scott Joplins „The Entertainer“. Ähnliche jähe Wendungen finden sich in der Abfolge des „Rinatya Dance“ von Ora Bat Chaim mit der arrangierten „Ouvertüre über jüdische Themen“ von Sergej Prokofjew. Und immer wieder lugt der Tango um die Ecke, der seufzt und schmachtet, dass einem die Füße von allein und unbewusst in rhythmische Bewegung geraten. Giora Feidman & Co. wissen um diese ihre Wirkung, kosten sie genüsslich aus. Mit ihrem hinreißenden Spieltemperament halten sie die Stimmung am Kochen. Begeisterter Beifall ist der Lohn für diese „TangoKlezmer“-Begegnung, der eine wie improvisatorisch wirkende Zugabe mit gemeinsamem Gesang folgt, einschließlich der langatmigen Verkündigung politischer Botschaften. Die hätte er sich allerdings sparen können.

Peter Buske

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