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Sieht wild aus. Doch das Brandt Brauer Frick Ensemble gibt sich klassisch.

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Brandt Brauer Frick Ensemble: Magnetismus des Dissonanten

Techno ohne Technik: Das Brandt Brauer Frick Ensemble zeigte im Nikolaisaal eine fulminante Musik-Show.

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Es mag ja immer noch Menschen geben, die sich elektronischer Musik mit Vehemenz verwehren, sich reflexhaft die Ohren zuhalten und Techno als monotonen Mangel musikalischer Fähigkeiten und Ansprüche interpretieren. Was für ein Irrtum: „Ich musste erst mal acht Jahre Komposition studieren, um Techno zu mögen“, gesteht Pianist Paul Frick – und nimmt die ablehnende Lesart dadurch sogar in Schutz. Allerdings kann diesem Irrtum auch nur jemand erliegen, der noch nie auf einem vinylfreien Techno-Konzert war.

Beim Brandt Brauer Frick Ensemble, das am Samstag im fast ausverkauften Nikolaisaal sein erstes Potsdam-Gastspiel gab, wurden nämlich keine Platten aufgelegt. Nein, vielmehr passierte etwas Besonderes, was gleichsam großartig war: In kühles Schwarzlicht getaucht, was dem Nikolaisaal eine ungeahnte Clubatmosphäre verschaffte und den Ort wie das fröstelnde Innere eines überproportionalen Iglus erscheinen ließ, begab sich ein zehnköpfiges Orchester auf die Bühne, um dem musikalischen Genre Techno das Künstliche zu nehmen. Auch wenn die Ankündigung House versprach, hielt sich das Brandt Brauer Frick Ensemble nicht in dieser einzigen elektronischen Spielart auf, dafür war zu viel übersprudelnde Kreativität im Raum.

Während das erste Stück noch loungig-zögerlich dahinplätscherte, wurde beim zweiten bereits buchstäblich auf die Pauke gehauen – nein, eigentlich gleich auf zwei Pauken. Die pulsierenden Fast-schon-Goa-Rhythmen waberten bis unter die hohe Decke des Nikolaisaals, was der einzige akustische Nachteil war: Das Schlagzeug (Daniel Brandt) schallte einfach zu sehr – in einem kleineren Raum, etwas gedämpfter, wäre der musikalische Effekt bedeutend besser gewesen. Die Seele elektronischer Musik ist nun mal Percussion, und vielleicht ist dafür der Heimatort des Ensembles, der Berliner Club Berghain, prädestiniert.

Das Brandt Brauer Frick Ensemble lieferte glasklare Kompositionen, die trotz der sprunghaften Jazzigkeit einem stringenten Raster folgten: dem Magnetismus des Dissonanten, das ein ganzes Orchester in synkopische Klänge tauchte, während das Schlagzeug ein metronomhaft-präzises Uhrwerk lieferte. Versuchten Kraftwerk anno dazumal noch, handwerkliche Musik zu elektronisieren, gibt die nachfolgende Generation nun dem Elektro das Gegenteil zurück. Nun ist es ungemein besser, Violine (Mari Sawada) und Cello (Boram Lie), die oft nur minimalistisches Pizzicato verwendeten, sowie Harfe (Gunnhildur Einarsdottir) an die Stelle der künstlichen Synthesizer-Orchester zu stellen, mag der Klang auch noch so ausgefeilt sein: Elektronischer Musik wird somit die nötige Wahrhaftigkeit zurückgegeben, fernab der Mimikry synthetischer Instrumente. Heraus kommen Stücke wie „Mi Corazón“, mit giftig-dissonantem Zusammenspiel von Tuba (Benjamin Grän), Flügel (Paul Frick) und Posaune (Florian Juncker), die als Dreiergespann nur reduzierte Töne, zumeist Triolen, über den wabernden Soundteppich legten. Was zuerst einlullend wirkt, wird mit kräftigen Crescendi herausgeführt. Aber es ging auch anders: indem das Trio sein Orchester kurzerhand von der Bühne schickte und sich ganz dem ursprünglichen Elektro widmete, das konnte es auch. An dieser Stelle wurde es jedoch hart: Wer guckt schon gern den ganzen Abend dem DJ bei der Arbeit zu, zur Bewegungsunfähigkeit verdammt in die Polster der Sitze? Neidisch blickte man auf die zuckenden Leiber der Musiker und wackelte unruhig auf dem Mobiliar hin und her.

So zeigte das Brandt Brauer Frick Ensemble nicht nur der Electro-Generation, sondern auch dem älteren Kaliber, dass Techno nicht nur aus ein paar beats per minute besteht. Was da auf die Bühne zurückschwappte, war nicht etwa nur ein Höflichkeitsapplaus, sondern ein tosender Aufschrei eines begeisterten Publikums. Und das völlig zu Recht: Was für ein Rausch. Der ein oder andere ging hinterher gewiss noch tanzen, jede Wette.

Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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