Kultur: Mal zurückhaltend, mal impulsiv
Kerstin Linder-Dewan und Matias de Oliveira Pinto bei den Bachtagen
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Schwer und schön. Anspruchsvoll und schön. Diese Anmerkungen standen am Anfang zweier Konzerte am Wochenende bei den Bachtagen Potsdam. Und am Ende der Auftritte von Kerstin Linder-Dewan und Matias de Oliveira Pinto konnte man nur hinzufügen: Schwer und anspruchsvoll werden nur dann schön, wenn sie von selbstbewusster Meisterschaft und tiefem Respekt getragen werden.
Kerstin Linder-Dewan hatte sich den Mysteriensonaten von Heinrich Ignaz Biber, Matias de Oliveira Pinto den Suiten für Violoncello von Johann Sebastian Bach solo zugewandt. Zwei Werke, die zu den höchsten, anspruchvollsten und schönsten ihrer Gattungen gehören. Werke, die in ihrer Komplexität und Virtuosität für jeden Künstler Herausforderung und Bloßstellung in einem bedeuten. Denn in der Beschränkung auf die Violine, die beim Auftritt von Kerstin Linder-Dewan nur vom Cembalo begleitet wurde, und das Cello solo wird jede Unachtsamkeit, jedes noch so kleine Nichtverstehen sofort und gnadenlos hörbar.
Bei Kerstin Linder-Dewan gab es nur einmal diesen Moment solcher Unzufriedenheit, als in der Ciacona „Darstellung des Herrn“ ihr Spiel für ein paar Takte den Ausdruck verlor, sie kurz wie ratlos schien und ihr sonst so differenzierter, aufs Detail konzentrierter Klang auf einmal blass wirkte. Bei Matias de Oliveira Pinto war es das allzu Beherzte seiner Lesart, das in der Gavotte I und II von Bachs Suite in c-Moll die Feinheiten vermissen ließ. Kleinigkeiten nur in zwei Vorträgen, die einen beglückt und bereichert in den Abend entließen.
Fünf der 15 Mysteriensonaten über das Leben Christi und die abschließende Passacalia spielte Kerstin Linder-Dewan bei ihrem Auftritt in der Französischen Kirche. Und schon in der ersten, dem Präludium und der Variato über „Die Verkündung“ war alles enhalten, wofür das Leben Christi steht und was Biber so kongenial vertont hat. Jubel und Lebenslust, Zweifel und Unsicherheit, Hoffnung und Glückseligkeit, Schmerz und Todesangst, all das klang bei Kerstin Linder-Dewan mit. Ihr Ton klar und prägnant, ihr Spiel leicht atmend, indem sie dezent, aber immer überzeugend Akzente setzte. Zwischen den einzelnen Sonaten, die ein ständiges Umstimmen der Violine erfordern, gab Cembalist Joachim Thoms kurze, aber äußerst gehaltvolle Einblicke in Bibers Leben und dessen Gedanken zu den Mysteriensonaten. Zum Abschluss die berühmte Schutzengelpassacaglia, in der Kerstin Linder-Dewan ihre feine, in sich gekehrte Interpretation der Bibersonaten, diese andachtsvolle Meditation, die mit einfacher Schönheit und leichtestem Klangstrahlen überzeugte, förmlich vollendete.
Eine solche in sich gekehrte Interpretation war Matias de Oliveira Pintos Sache nicht. Wo Kerstin Linder-Dewans leichter Atem trug, ging es bei dem Cellisten Pinto regelrecht schnaufend zur Sache. Sein Bach strotzte vor Selbstbewusstsein und Klangstärke. Auch wenn diese Lesart nicht jedermanns Sache ist, Pintos Auftritt im Palmensaal der Orangerie im Neuen Garten war ein äußerst erfrischender Genuss. Keine Bachverklärung, sondern herrlichste Muskelspielereien auf vier Saiten, getragen vor allem von Pintos Selbstverständnis und seiner frappierenden Technik. Dieser Bach rockt, so wollte man nach der abschließenden Gigue aus der Suite in C-Dur rufen. Diesen Meisterwerken zur Seite hatte Pinto mit „seven preludes to a prelude“ von Jeffrey Ching und „Unknowing“ von Sidney Corbett zwei moderne Kompositionen zur Seite gestellt. Gerade in ihrer Eigenwilligkeit und klanglichen Experimentierlust bildeten sie einen treffenden Kontrast und gleichzeitig Bereicherung zur Bachschen Komponierkunst. Dirk Becker
Am heutigen Dienstag um 18 Uhr ist der Film „Chronik der Anna Magdalena Bach“, um 20 Uhr „Meine Name ist Bach“ im Filmmuseum in der Breiten Straße 1A zu sehen. Weitere Informationen zum Programm unter www.bachtage.de
Dirk Becker
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