
© Seregel
ZUR PERSON: „Manchmal sehne ich mich nach Leere“
Marianne Rosenberg stellt am Mittwoch im Waschhaus ihren „Regenrhythmus“ vor: Electro-Pop, Lounge-Music und Klassiker
Stand:
Frau Rosenberg, in Ihrem Internet-Auftritt kokettieren Sie im feurigen Rot als sinnlich-erotische Verführung. Schlagen Sie dem Alter ein Schnippchen?
Dem Alter kann man kein Schnippchen schlagen. Es wäre auch Unsinn, denn das ist etwas ganz Normales, dem alles Lebendige unterworfen ist. Rot ist einfach, neben schwarz, meine absolute Lieblingsfarbe – außer an Ampeln.
Das vergleichsweise junge Berliner Schlager-Chanson-Duo Rosenstolz nahm sich eine Auszeit, weil es sich ausgebrannt fühlte. Sie stehen mittlerweile über 40 Jahre auf der Bühne. Wie trotzen Sie der Leere?
Umgekehrt wird ein Schuh draus. Manchmal sehne ich mich nach der Leere, aber Musik machen, Texte schreiben und komponieren ist wie essen, trinken, atmen für mich. Ich mache das seit 1984 und kann mir keine schönere Arbeit vorstellen. Zu hören, wie etwas, dass man sich ausgedacht hat, Gestalt annimmt, ist ein erhebender Moment und der Grund, immer weiter zu schreiben. Ich hatte allerdings gute Lehrmeister und Impulsgeber. Rio Reiser und Marianne Enzensberger, beides Freunde, die für mich geschrieben haben, gaben mir Hilfestellung und ermutigten mich, selbst zu schreiben und zu komponieren.
Viele singen die Texte Ihrer frühen Schlager bis heute begeistert mit. Gehört „Er gehört zu mir“ auch noch zu Ihnen?
Mein Name stand nie an einer Tür, wenn sie das wissen wollen ... Wir haben verschiedene Songs im Programm, die die Zeit spiegeln. Diesen Song hat mein Publikum zum Kult gemacht. Ihn nicht zu spielen wäre, wie wenn die Stones „Satisfaction“ oder „Angie“ weglassen. Außerdem macht es Spaß, weil im Publikum viel passiert, da sind meine Musiker und ich dann eher die Zuschauer, toll.
Wie wichtig sind Ihnen Ihre Wurzeln?
Meine Wurzeln sind meine Familie. Seit ich denken kann, wurde in meinem Elternhaus Musik gemacht, jeder hat gesungen oder ein Instrument gespielt. Das hat mich natürlich geprägt.
In Ihrer Autobiografie „Kokolores“ geben Sie viel von Ihrer schwierigen Kindheit preis, erzählen von Ihrem Vater, einem Auschwitz-Überlebenden, und dass Sie in der Schule oft als „Zigeunerin“ beschimpft worden sind. Sie sagten: „Das Gefühl, nicht dazuzugehören, zieht sich durch mein Leben.“ Setzte gerade dieses Ausgegrenztfühlen solche ungeheuren Energien frei, die Sie bis heute auf der Bühne ausstrahlen?
Na ja, schwierige Kindheit ist Ihre Interpretation. Ich denke, jede Kindheit ist schwierig und zugleich wunderschön. Das war bei mir nicht anders. Aber natürlich hat mich auch die Geschichte meines Vaters geprägt, dessen Familie von den Nazis nahezu ausgelöscht wurde. Und natürlich war es in den sechziger Jahren, in denen die NS-Zeit noch nicht offen verarbeitet wurde, manchmal schwierig, keinen Ariernachweis vorzeigen zu können. Die Gespenster waren noch lebendig, der Kanzler der Republik hieß Kurt Georg Kiesinger – und es stimmt, zu dieser Gesellschaft wollte ich nicht gehören. Und natürlich schafft die Tatsache, zu einer Minderheit zu gehören, die nicht offen, aber oft unterschwellig diskriminiert wird, nicht nur das politische Bewusstsein, man entwickelt auch ein anderes Selbstbewusstsein – oder man geht unter.
Sie gehörten in den 80er Jahren zur Hausbesetzerszene, nahmen in Stöckelschuhen an Demonstrationen gegen die Atomindustrie und gegen Rassismus teil. Wogegen würden Sie auch heute noch auf die Straße gehen?
Für politische Veränderungen und soziale Gerechtigkeit kann man nicht nur auf die Straße gehen. Man kann, jeder in seinem Umfeld, einfach immer wieder ein kleines Stück der Utopie vom selbstbestimmten Leben in einer sozialen Gemeinschaft verwirklichen. Ich mag mich irren, aber ich finde, dass es heute nicht mehr so wichtig ist, die Bevölkerung mit Demonstrationen aufzuklären. Die Allermeisten wissen doch, wo der Hase langläuft. Nur überwiegt hier die Resignation und das Gefühl der Ohnmacht. Aber wenn jeder bei sich selber anfängt, dann gibt’s keine Ausrede mehr.
Mit 14 gewannen Sie einen Talentwettbewerb, Sie nahmen mehrmals am Eurovision Song Contest teil, arbeiteten mit Dieter Bohlen und Wir sind Helden, probierten sich als TV-Moderatorin, sangen die Titelrolle in einem Kurt-Weill-Musical, schrieben, komponierten, sangen im Walt-Disney-Zeichentrickfilm „Küss den Frosch“. Wird Ihnen da nicht selbst ganz schwindelig?
Och, Sie haben noch ’ne ganze Menge vergessen, zum Beispiel die Filme, in denen ich mitgespielt habe, das wunderschöne Jazz-Album, das ich selbst produziert und veröffentlicht habe und und und ... Aber wir reden ja auch von vier Jahrzehnten künstlerischer Arbeit. Und dann ist das alles gar nicht mehr so viel und erst recht nichts Besonderes.
Für Ihr Konzert im Waschhaus sind neue Songs in zeitgeistiger Interpretation angekündigt. Was heißt für Sie zeitgeistig und auf welche Marianne Rosenberg kann sich der Zuschauer nunmehr einstellen?
Regenrhythmussongs, drei exzellente Musiker, Electro-Pop und Lounge-Music sowie einige Klassiker und Hits von den 70ern bis heute, die alle vom Sound und vom Arrangement dem aktuellen Sound angepasst wurden. Wenn man das ganz genau wissen möchte, kann man Ausschnitte der Show auf dem Live-Album anhören, das im Frühjahr bei dem ersten Teil der Tour aufgezeichnet und vor etwa einem Monat veröffentlicht wurde. Damals war es der neue Phillysound und die erste deutsche Popgeschichte, heute ist es bei mir loungiger Elektro-Pop. Ich bleibe mir treu, wenn ich das mache, was mich fasziniert.
Das Gespräch führte Heidi Jäger
Marianne Rosenberg ist am Mittwoch, dem 16. November um 20 Uhr, in der Waschhaus Arena, Schiffbauergasse, zu Gast. Karten sind erhältlich unter Tel.(0331) 27156-0 und kosten im Vorverkauf 35,75 Euro. Die PNN verlosen drei CDs mit ihren „Regenrhythmus“-Songs und drei mal zwei Freikarten für die ersten Anrufer am heutigen Montag ab 10 Uhr unter Tel. (0331)2376116
Marianne Rosenberg, geb. 1955 in Berlin. Sie ist das dritte von sieben Kindern von Otto Rosenberg, einem Überlebenden von Auschwitz und langjährigen Vorstandsmitglied des Zentralrats deutscher Sinti und Roma. Sie wuchs in einer Künstlerfamilie auf.
Mit 14 nahm sie ihre erste Platte auf und wurde mit Titeln wie „Er gehört zu mir“, „Marleen“ und „Ich bin wie du“ zum Schlagerstar der 70er Jahre. In den 80ern trat sie mit gesellschaftskritischen Rockmusikern wie Rio Reiser und Erxtrabreit auf.
Im September 2006
erschien ihre Biographie „Kokolores“
(List-Verlag Berlin).
2008 veröffentlichte sie ihr Chanson- und
Jazzalbum
„I'm a woman“.
2011 erschien das neue Album „Regenrhythmus“
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