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Kultur: Mangel an Großkotzigkeit

Interviewfilm zu Bürgervisionen im Brandenburgischen Kunstverein / In Endlosschleife zu sehen

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Interviewfilm zu Bürgervisionen im Brandenburgischen Kunstverein / In Endlosschleife zu sehen Schon sehr früh im Bewerbungsprozess für den Titel Kulturhauptstadt 2010 konnte man ahnen, das irgendetwas nicht so funktionierte, wie das die Planungen vorsahen. Zum Auftakt sollte die Schirmherrschaft symbolisch von Potsdamer Bürgern übernommen werden, nur kamen so wenige in die Schiffbauergasse, das die Fotografen Mühe hatten, eine Menschenmenge zusammenzutreiben und abzubilden. Der „gemeine“ Potsdamer, ein eigensinniges und stures Wesen, zeigte seine Unberechenbarkeit. Kulturhauptstadt ohne Bürger geht ab er nicht. Im Brandenburgischen Kunstverein wurde die Idee entwickelt, abseits papierener Konzepte auf die Straße zu gehen, den Bürger vor der Kamera nach seiner Meinung zu befragen. Der von einer Projektgruppe der Fachhochschule gedrehte, über einstündige Zusammenschnitt aus Antworten auf drei gestellte Fragen kommt als plebiszitäres Korrektiv für die Bewerbung vielleicht zu spät. Bei der Vorstellung des Films im Kunstverein zeigte sich aber, das Ansatz und Idee der richtige Weg gewesen wären, weil die Frage nach der Identifikation mit seiner Stadt, nach den Lieblingsorten und Zukunftswünschen, jeder einzelne beantworten muss. Insofern ist die Sammlung mit Beiträgen von Kulturpolitikern und -akteuren und normalen Passanten mehr als eine Dokumentation. Sie ist eine Aufforderung, mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen, sich zu vergegenwärtigen, woher dieses Lebensgefühl kommt. Liegt es an den Parks, die vielfach genannt werden, oder an den Schlössern? Oder an den Menschen? Ganz gleich, der Film sagt auch, dass Kultur zuvorderst Kommunikation ist. Die Studierenden Ariane Lamme, Linn Quante und Cathleen Sagunski haben die ursprünglich farbigen, frontalen Porträtaufnahmen digital so verändert, dass sie nahezu Schwarz-Weiß sind. Die Semiprominenz, die in die Interviewreihe ohne weitere Hervorhebung eingemischt wurde, ist trotzdem gut zu erkennen: am Jargon, der politisch-abgehobenen, ständig auf Abwägung bemühten, vorsichtigen Ich-fernen Sprache. Und an der Mimik, bar einer Begeisterung. Die Frage „Welche drei Orte würden Sie einer ausländischen Reisegruppe als Ihr wahres Potsdam präsentieren?“ wird von Stadtverordneten wie Hans-Jürgen Scharfenberg, Saskia Hüneke oder Clara Geywitz quasi staatstragend beantwortet. Das Ziel des in die Abschlussarbeit von Martina Winkler eingepasste Projekt, zu prüfen, inwiefern die offiziellen Potsdam-Bilder, auf die das Marketing zurückgreift, mit denen des „einfachen Bürgers“ übereinstimmen, ist hier absehbar. Wie sagt einer der Befragten? „Potsdam rockt nicht.“ Auch bei den Fragen nach dem persönlichen Zentrum von Potsdam und der kulturellen Zukunft der Stadt liegen die Kulturverantwortlichen inhaltlich nicht so weit entfernt von der Stimmung auf der Straße. Aber man spürt die Enge der Visionsräume, wenn der Betreiberin eines Jugendclubs immer zuerst ihr eigenes Haus einfällt. Es fehlt, so einer der Befragten, tatsächlich avantgardistische Großkotzigkeit in der Stadt. Der Kulturhauptstadt 2010, die ironischer Weise das von Prof. Hermann Voesgen betreute Projekt unterstützt hat, kann es nicht mehr nützen, der Kulturstadt Potsdam schon. Deshalb wird der Film in Endlosschleife im Rathaus, der Bibliothek und ihren Zweigstellen, im Waschhaus, der Kunstschule, dem Filmmuseum und im Kutschstall bis Ende Juni (in sehr mäßiger Tonqualität) zu sehen sein. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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