Kultur: „Mangel macht kreativ“
Studenten stellen am Universitäts-Standort Golm ihre künstlerischen Abschlussarbeiten vor
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Studenten stellen am Universitäts-Standort Golm ihre künstlerischen Abschlussarbeiten vor Graue Beton-Tristesse. Die Schwüle dieses Nachmittags legt sich zusätzlich über den Mief der Plattenbauten. Kaum ein Student belebt den Golmer Campus. Sie haben sicher ein netteres Plätzchen für dieses sommerliche Wetter gefunden. Hier also sollen angehende Lehrer ihre künstlerischen Ambitionen entfalten. Am Rande dieses Uni-Standortes ist dann doch noch Farbe auszumachen. Die DDR-Architektur weicht der aus Vorkriegszeiten. Einige Fassaden haben auch schon einen kräftigen orangen Anstrich erhalten. Die Sinne werden wieder etwas aufgemuntert. Und plötzlich ist auch eine große Traube junger Menschen auszumachen, die sich aufgeregt vor dem Haus 5 versammelt. Auch hier regieren die Gegensätze. Die in dem düsteren, weit in die Höhe strebenden Foyer gezeigten Bilder entführen in eine ganz andere Welt: Farbgewalt und ungestüme Fantasie, die sich offensichtlich nicht von der öden Außenwelt kappen ließen, haben das Sagen. „Mangel macht kreativ“, meint die Kunststudentin Cäcilie Klappenbach schmunzelnd. Ein Blick auf ihre Arbeiten bestätigt augenfällig diese Worte. Allerdings hatten die Malerateliers auf dem Campus im Babelsberger Park sicher auch ihre Aktie an der schöpferischen Atmosphäre. Cäcilie stellt gemeinsam mit 13 Kommilitoninnen an diesem Tag ihre künstlerische Abschlussarbeit im Studiengang Kunst im Lehramt öffentlich vor. Die Zensuren sind verteilt, alle haben bestanden. Vom Keller bis in die obere Etage sind die Früchte des studentischen Laborierens mit den unterschiedlichsten Genres der Kunst verteilt. Jeder Raum wirkt wie ein Refugium, in dem sich das Innere der jungen Frauen nach außen kehrt. „Sie alle haben ihre eigene individuelle Handschrift gefunden“, freut sich Prof. Meike Aissen-Crewett, die ihre Schützlinge in dem von ihr mit kreierten „Potsdamer Modell“ nicht nur auf Didaktik, sondern auch auf eigene künstlerische Erfahrungen „trimmt“. „Bilder bilden Bildung“, meint sie zur Eröffnung der erfrischenden kunterbunten Schau. Jede Studentin musste in ihrer Abschlussarbeit vier künstlerische Bereiche abdecken, egal ob Video, Grafik, Malerei, Fotografie, Installation oder Plastik. Eine „Disziplin“ davon durfte sich ganz nach Neigung hervortun. Das Ganze musste zudem einem großen Thema untergeordnet und durch „Tagebuchnotizen“ theoretisch begleitet werden. Für Cäcilie war es das Thema „Unterbrochene Verbindung“, das sie lange Zeit begleitete. Den Anstoß dazu gab die Geburt ihres Sohnes vor gut zwei Jahren. „Der Prozess der Abnabelung hat sich bei mir einschneidend eingeprägt. “ Also begann sie die Nabelschnur zu zeichnen. Schließlich beschäftigte sie sich mit dem Bauchnabel: „Als Erinnerung, dass jeder Mensch eine Mutter hat.“ Sie zeichnete und malte ihn wieder und immer wieder, bis er in andere Formen überging. Der schöpferische Funke war entfacht. Nicht nur mit ihrem zeichnerischen Talent lässt Cäcilie Klappenbach aufmerken. Auch ihre Malerei ist ein Blickfang. Mit einem Mix verschiedener Materialien – zur Acrylfarbe mischt sie Kunstfilz, Glas, Paketband oder Haare – gibt sie den Bildern Tiefe und Struktur. Die angehende Referendarin weiß auch mit zurückhaltenden Farbtönen zu leuchten. Ihre Lehrer honorierten dies mit Höchstnoten. Ihre 1,0 machten Cäcilie zur Jahrgangsbesten. Und ganz ungewollt „schrieb“ die Studentin mit ihrer Arbeit einem Potsdamer Obdachlosen einen anrührenden Nachruf. „Immer wieder begegnete ich einem bettelnden Mann an der Ecke Brandenburger/Ecke Gutenbergstraße. Schließlich durfte ich ihn eine Stunde lang filmen. Ursprünglich wollte ich am Ende meines kleinen Streifens die Straßenbahn vorbei fahren lassen. Anschließend sollte der Mann aus dem Bild verschwunden sein. Dann erfuhr ich, dass er tragisch ums Leben gekommen ist und im Haus der Offiziere erst nach Tagen tot aufgefunden wurde. Das wühlte mich natürlich auf.“ Und es änderte auch ihr Konzept. Der um Hilfe bittende Mann kauert nun bis zum Ende der Filmsequenz an seiner Mauerecke. Im Nachspann ist von seinem Tod zu lesen. Wie bei der Abnabelung sah Cäcilie auch hier eine unterbrochene Verbindung – zur Gesellschaft. Das Konzept von Meike Aissen-Crewett scheint der richtige Weg. Nur über das selber Ausprobieren, können die eigenen Stärken entdeckt, „das schöne Denken“ geschult werden. „Was ich selber durchgemacht habe, kann ich auch bei den Schülern besser nachvollziehen.“ Cäcilie und ihre Mitstreiterinnen scheinen für die Praxis bestens gerüstet. Die graue Betonwelt am Rande Golms hat die Kreativität offensichtlich nicht vertrieben. Zu sehen bis morgen, 10 bis 17 Uhr, im Unikomplex Golm, Haus 5, später in einer Ausstellung in der Mühle von Sanssouci.
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