Kultur: Martialische Liebesspiele
„Carmina Burana“ in der Erlöserkirche
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Gerade in der letzten Zeit haben sich die „Carmina Burana“ zu einem Renner für Aufführungen mit Kindern entwickelt. Wenn selbst Sir Simon Rattle bei einem Education-Projekt mit Berliner Kindern das Chorwerk aufführt, kann es wohl nicht falsch sein, denken manche vielleicht. Doch was nahe liegend erscheint, muss nicht unbedingt stimmig sein.
Jetzt wählte die Potsdamer Kantorei den bekannten Liederzyklus des Komponisten Carl Orff für die Premiere des neu gegründeten Kinderchores aus. Angesichts des riesigen Besucherandrangs in der Erlöserkirche kann man durchaus von einer erfolgreichen Unternehmung sprechen. Die große Potsdamer Kantorei und die Kantoreischule mit zusammen weit über 100 Sängerinnen und Sängern sowie sechs Schlagwerkern, zwei Pianistinnen und drei Gesangsolisten sorgten für eine glanzvolle Aufführung des beliebten Werks.
Dennoch kann behauptet werden, dass die „Carmina Burana“ von Carl Orff einer der größeren Irrtümer der Musikgeschichte sind. Aus heutiger Sicht wirkt der Erfolg dieses Chorwerks über die Freuden der Sinneslust zumindest prekär. Komponiert wurden die dezidiert profanen Stücke in den dreißiger Jahren, uraufgeführt 1937 in der Oper in Frankfurt am Main, weithin bekannt wurden sie erst in der Nachkriegszeit. Die Orffsche Neuvertonung der mittelalterlichen Texte über die Freuden der sinnlichen Liebe weist erstaunlich grobe, hämmernde, hymnische Frakturen auf. Ohne Kenntnis der Texte würde man bei den meisten der 25 Gesänge und Zwischenspiele nicht an die Liebe denken, sondern an Krieg. Dazu kommt, dass die Texte selber von Kindern gar nicht verstanden werden können, weder wörtlich, da sie auf Lateinisch und Mittelhochdeutsch sind, und schon gar nicht inhaltlich. Das mögen manche durchaus gut heißen. Es sind halt Lieder von Erwachsenen für Erwachsene und im Grunde nicht für Kinder geeignet.
Wie gut die junge Chorleiterin Maike Schipper ihren Chor mit rund dreißig Kindern schon jetzt im Griff hat, zeigten bereits die beiden Lieder aus Carl Orffs Musikwerk für Kinder „Winteraustreiben und Frühlingsbeginn“ und „Alter Sonnwendtanz“. Allerdings verwunderten auch hier die merkwürdigen, wenig kindgerechten Texte.
Den großen Chorsätzen gab die Potsdamer Kantorei unter der bewährten Leitung von Ud Joffe präzis sitzende Einsätze, prägnante Artikulation und viel rhythmischen Schwung. Sehr sauber und tonrein erklangen die Soprane und Altstimmen in den wenigen langsamen Abschnitten, die auch zeigten, wo die eigentlichen Stärken des Chors liegen. Die musikalische Begleitung mit ständigen Trommelwirbeln, Paukenschlägen und Schlaginstrumenten aller Art entfachte ein höllisches Gewitter, so dass man sich eher im Fegefeuer wähnte als in einem Cour d“Amour. Auch die beiden Klaviere (Inge Lindner, Rita Herzog) spielten überwiegend staccato und marcato. Anscheinend hatte Carl Orff ziemlich martialische Vorstellungen von Sex und Erotik. Selten hört man soviel motorische, zackige Rhythmen, bedrohliche wirkende ostinate Akkorde in einem Stück, das die Lebenslust und die Liebe feiert. Eher wirkt es wie ein heftiger Kampf und dabei drängt sich durchaus die Entstehungszeit der Komposition mit hinein. Zuletzt, in einem Traumbild des Sieges, unterwirft sich die Liebende dem „süßen Joch der Liebe“. Das wurde ganz hervorragend gesungen von Esther Hilsberg, die mit glockenreiner Stimme bis zum dreigestrichenen D gelangte. Das Paradestück des Tenors, der „gebratene Schwan“, glückte recht überzeugend in der Darbietung durch Joaquin Aslain. Als großartiger Bariton erwies sich Hans Gröning, besonders in der Nr. 16 „Dies, nox et omnia“, als er die weiten Register der Partie von sonorer Tiefe bis zum hellen Altus voll auskostete. Eine interessante und gelungene Aufführung, die den Facettenreichtum und die Leistungsstärke der Chormusik an der Erlöserkirche bezeugte.
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