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Kultur: „Marx kann man heute noch immer mit Gewinn lesen“

Rolf Hosfeld hat ein Buch über die Ideen von Karl Marx geschrieben – morgen stellt er es in Potsdam vor

Stand:

Herr Hosfeld, Sie haben ein Buch über Karl Marx geschrieben. Der Verlag nennt es „Eine neue Karl-Marx-Biografie“, Sie selbst aber schreiben in Ihrem Nachwort „essayistisch gehaltene Ideenbiografie“.

Es geht in diesem Buch in erster Linie um die Ideen von Karl Marx und weniger um die Person. Denn es sind die Ideen, die uns an Marx heute noch interessieren.

Also auch die Frage, wie aktuell Marx’ Ideen heute noch sind?

Aktuell ist vielleicht das falsche Wort. Das muss man ja nicht überstrapazieren. Ich glaube generell, und das hat jetzt nichts mit Aktualität zu tun, dass man Marx heute auch mit Abstand von 20 Jahre Mauerfall in einer gelassenen, historischen Perspektive neu betrachtet. Ihn also historisiert. Das beinhaltet natürlich das genaue Gegenteil von jeglicher Identifikation, bedeutet aber nicht gleichzeitig eine Frontstellung gegen ihn. Karl Marx hat es verdient, dass man ihn einfach als Person seiner Zeit ernst nimmt.

Was bisher nicht geschah, weil eine Auseinandersetzung mit Marx nie ideologiefrei verlaufen konnte?

Marx hatte das Problem, dass er im Unterschied zu Leuten, die reine Theoretiker waren, immer instrumentalisiert worden ist. Marx ist vereinnahmt worden von Ideologen, die sich auf ihn berufen haben und er ist bekämpft worden von Leuten, die weniger gegen ihn als gegen seine selbst ernannten Nachfolger waren. Insofern hat das nicht dazu beigetragen, dass sich eine souveräne Sicht auf die Leistung von Marx entwickeln konnte. Derzeit haben wir ja wieder eine gewisse Marx-Mode, die etwas sehr Rechthaberisches an sich hat. Denn ist der Kapitalismus in der Krise, heißt es gleich, Marx hatte doch recht. Marx war nicht die einzige radikale Stimme im 19. Jahrhundert. Da gab es einige mehr, die noch radikaler waren. Aber Marx war vielleicht die intelligenteste, radikale und wirkungsmächtige Stimme dieser Zeit.

Was meinen Sie mit der intelligentesten Stimme?

Nun ist das „Kapital“ mit seinen 2700 Seiten ja ein ernstzunehmendes Buch, eine Analyse, die es in sich hat. Das kann man nicht einfach nur als Propagandaschrift abtun.

Es ist also vor allem das „Kapital“, was auch noch heute von Marx’ Schriften Gewicht hat?

In erster Linie. Das aber nicht im wörtlichen Sinne. Auch andere Theoretiker dieser Zeit werden heute nicht mehr wortwörtlich rezipiert. Aber das „Kapital“ ist nach wie vor ein gewichtiger Beitrag zur Erklärung unserer modernen Welt.

Ein gewichtiges Werk, über das viele reden, das aber die wenigsten gelesen haben.

Ich würde auch nicht jedem empfehlen, das „Kapital“ zu lesen. Aber es würde sich für die Wissenschaft lohnen, sich mit diesem Buch intensiver zu beschäftigen. Denn das „Kapital“ enthält Fragestellungen zu dem komplexen Gebilde unseres Wirtschaftssystems, wie sie in dieser Ausführlichkeit kein zweiter mehr versucht hat zu stellen. Natürlich kann man rückblickend nachweisen, Marx hat hier und da falsch gedacht. Aber er war ein Theoretiker, der vor allem die Instabilität des Kapitalismus aufgezeigt, der sich ausführlich mit dem Phänomen der Krise auseinander gesetzt hat. Und das kann man heute noch immer mit Gewinn lesen.

Marx ging auch davon aus, dass der Kapitalismus auf Dauer nicht lebensfähig sei.

Diese Meinung wird man heute wohl nicht mehr unbedingt teilen. Aber dass wir es mit einem System zu tun haben, das aus einer merkwürdigen Mischung von Kreativität und Destruktivität besteht, das hat in dieser Form kaum einer so zum Ausdruck gebracht wie Karl Marx.

Also doch eine Aktualität in Marx’ Theorien?

Wenn Sie so wollen, ist eine Aktualität insofern gegeben, dass die von Marx gestellten Fragen heute noch immer nicht beantwortet sind.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Heute erhält Rolf Hosfeld für sein Buch „Die Geister, die er rief“ in Berlin den diesjährigen Preis der Friedrich-Ebert-Stiftung für „Das politische Buch“. Am morgigen Mittwoch liest Hosfeld um 20 Uhr im Literaturladen Wist, Dortustraße 17. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 3 Euro. Reservierungen unter Tel.: (0331) 28 00 452. „Die Geister, die er rief. Eine neue Karl-Marx-Biografie“ ist im Piper Verlag erschienen und kostet 19, 95 Euro

Rolf Hosfeld, geboren 1948, studierte Germanistik, Politik und Philosophie in Frankfurt/Main und Berli. Er arbeitet als Filmemacher, Journalist und Buchautor. Rolf Hosfeld lebt in Ferch.

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