Kultur: Marx und die Zeit der Wölfe
Die Magdeburger „Zwickmühle“ gastierte bei der Kabarettwoche
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Die Magdeburger „Zwickmühle“ gastierte bei der Kabarettwoche Lothar Bölck macht jetzt auf Solo. Nur in Sachen TV-„Zankstelle“ kommt der alte Kompagnon noch mit Hans-Günther Pölitz zusammen. Seinen Platz in der „Zwickmühle“ hat Marion Bach eingenommen. Auch die gestandene Regisseuse Regina Pölitz ist den anhaltinischen Aufklärern erhalten geblieben, das Zwicken und Zanken geht also weiter. Anlässlich der genauso urständigen „Kabarett-Woche“ gaben die Magdeburger am Montag ihren Senf zur Wahl von gestern dazu. Das Obelisk war gut besucht, ein recht homogenes Publikum etwas älterer Bauart nahm mit Vergnügen zur Kenntnis, was es am 18. September als Wahlvolk alles falsch gemacht hatte. Es ging um AB UND ZU STIMMUNG bezüglich höchst fragwürdiger Regierungskandidaten, die „Stimmungskanonen der Nation“. Zwei Stühle, eine Blende, ein Klavier – Marion Bach und Hans-Günther Pölitz spielten politisch-satirisches Kabarett diesseits der eigenen Wände. Da konnte man ganz ungeniert über die Politik wutschnauben, auch mal waghalsige Sätze über „die Ausländer“ loswerden, nur so. Klar verteilte Rollen: Er brillierte als achtmalkluger Gatte mit Marx und Rousseau, sie mimte in weiblicher List die naive, lernbegierige Gattin, wobei manche Szenen bewusst an die stillen Vorbilder Valentin/ Karstadt erinnern sollten. Viel Wortakrobatik also, wenn er Stalker sagt und sie Stoiber versteht, „die wildgewordene Weißwurscht“ aus Bayern. Dass die Regierung alles falschmacht, Kabarettisten alles besser wissen und sich scheckig ärgern, weil keiner auf ihre „Wahrheit“ hört, ist satirischer Standard. In AB UND ZU STIMMUNG gehörte das wahlweise zum Programm. Pölitz ließ keinen Zweifel daran, wie sehr diese ganze Wählerei nur Theater sei, Kabarett oder Farce, worin sich, nach Marx, die Geschichte wiederhole. Karne-Wahl in der „Zeit der Wölfe“: Schäuble, Gerhardt, Wulf. Marion Bachs politische Büttenrede wurde die meist-beklatschte Nummer des zweistündigen, oft gemütlichen Abends. So aber Westerwelle ernsthaft einen Wechsel fordert, war’s genug, beim Geld hört aller Spaß auf. Pölitz, im abendlichen Crossing over anfangs vorne, dann eher hinten, nimmt Deutschland eben noch ernst, seine Politiker, das Grundgesetz, um alles an Recht und Gleichheit zu messen. Die Ergebnisse klangen verheerend: Gewisse Sprüche der Waffen-SS seien nicht verfassungswidrig, aber die FDJ ist noch immer verboten. Auch Marion Bachs bedrohliches Couplet „und hab’ ich auf der Waage kein Gewicht, unterschätzt mich nicht!“ glaubt treulich an die Macht der Kreuze. Doch schon Bismarck wusste es besser, als die Zwickmüller heute: „Nie wird so viel gelogen wie vor Wahlen, im Kriege und nach der Jagd“. Letztlich hat man eben keine Wahl, wie jüngst auch in Dresden schon vorher klar war, was hinten ’rauskommt. Honecker lasse grüßen. Fragt sich nur, wie man mit dieser Wahrheit umgeht. An der Demokratie wird bekanntlich nicht gerüttelt. Was also tun, wenn alles geklärt ist und nichts funktioniert? Lachen! Davon wurde nicht nur wider die „Stimmungskanonen“ reichlich Gebrauch gemacht. In Gestalt eines Ein-Euro-Arztes erprobte Pölitz seine automechanischen Fachkenntnisse an einem geduldigen Zuschauer, Muttilein übte, jetzt nicht mehr plüschig, eine Rede an das Volk, woraus aber nichts wurde: Der rousseaukundige Gatte bewies ihr bald, was alles geht oder nicht. Das „Wolfsgesetz des Kapitalismus“ lässt einem ja keine Wahl ... Gerold Paul Heute Abend spielt das „Kommödchen“, Düsseldorf, 19.30 Uhr.
Gerold Paul
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