Kultur: Masken des eigenen Ichs
„Klassik am Sonntag“ im Nikolaisaal
Stand:
Wer zu bestimmten Zeiten hinter eine Maske schlüpft oder sich vermummt, hat etwas zu verbergen: sein Gesicht. Etwa weil er böse Absichten hat und nicht erkannt werden will. Oder gern mal ein anderer sein möchte, ohne dass er dabei das Gesicht verlöre. Oder die Verhüllung als reizvolles Mittel zur Gunsterringung einer Schönen, aber Spröden wählte. Die Karnevalszeit ist seit alters her die günstigste Zeit für einen solchen Identitätswechsel. Jenem urmenschlichen Verlangen nach „Lust auf anderes“ konnte teilhaftig werden, wer diese gleichnamige „Klassik am Sonntag“-Offerte des Nikolaisaals annahm. Planvorfristig, denn die fünfte Jahreszeit mit ihren drei tollen Tagen findet ja erst in der zehnten Kalenderwoche statt.
Einer musikalischen Maskerade glich, was der Überschaubarkeit und Ordnung halber in einen Klassik- und einen Unterhaltungsteil gegliedert worden war. Vieles davon sei bloße Verstellung, ließ der Moderator Clemens Goldberg das erwartungsfroh gestimmte Publikum wissen, anderes diene dem Vortäuschen falscher Tatsachen. So sei beispielsweise der klavieristische „Carnaval“-Zyklus von Robert Schumann mit seiner Tonfolge A-S (Es)-C- H voller geheimnisvoller Beziehungen: zu jenem böhmischen Ort Asch, aus dem des Komponisten Jugendliebe Ernestine von Fricken stammte, die gleich ihm bei Friedrich Wieck Klavierunterricht genoss, und zum eigenen Namen, in dem die gleichen Initialen vorkommen. Diese Doppelbödigkeit jener Masken des eigenen Ichs animierte Maurice Ravel 1914 zu einer klangfarbenreichen Orchestrierung des Werkes. Daraus erklangen vier Teile, die die Brandenburger Symphonikern unter der handgelenkslockeren Leitung von Michael Helmraths schwungvoll und mit viel Leichtigkeit spielten. Elegant und schwebend erklang unter anderen Valse Allemande, staccatogespickt „Paganini“, schmissig der „Marsch der Davidsbündler gegen die Philister“.
Nach Ende des Ersten Weltkrieges suchte Gabriel Fauré mit seiner Orchestersuite „Masque et Bergamasques“ wieder eine heile Welt zu finden. In den Klängen des 18. Jahrhunderts wurde er fündig. Heiter, unbeschwert, galant und ausschweifend war durchweg pures, kaum zu verbergendes Glücksgefühl musiziert. Und mit seiner Schauspielmusik zu Michail Lermontows „Maskerade“ fand auch Aram Chatschaturjan einen sehr direkten Zugang zu den schillernden, satirischen Sujets. Wie Rummelplatz- oder Zirkusmusik hörte sich manche Nummer an: lärmend, grotesk, blechbläserstrotzend. Anderes strotzte vor Gefühlssauce in Estradenmusikmanier.
Nach der Pause dann die Operettenschublade mit Beiträgen der Herren Johann Strauß jr. („Die Fledermaus“, „Eine Nacht in Venedig“) und Jacques Offenbach („Pariser Leben“, „Die Großherzogin von Gerolstein“, „Hoffmanns Erzählungen“). Für die vokalen Beiträge war die Sopranistin Julia Henning zuständig, die verhältnismäßig kurzfristig für Adriane Queiroz einsprang, weil diese als festes Ensemblemitglied der Berliner Staatsoper vom Intendanten keinen (Auftritts-)Urlaub bewilligt bekommen hatte. Neben einer glockenhellen Stimme führte die gestaltungsbegabte Julia Henning auch diverse festliche Abendroben vor. Was sie sang, bürstete sie weitgehend gegen liebgewordene Überlieferungen. Lichtblick in dieser durcheinander geratenen Abfolge waren die orchestralen „Erinnerungen an Ernst“, einem längst vergessenen Geiger und Paganini-Konkurrenten, die sich als köstliche Variationen über „Mein Hut der hat drei Ecken“ entpuppten. Flöte, Piccolo, Oboe, Violine oder Kontrabass konnten dabei nach Herzenslust komödiantenlaunig und unmaskiert brillieren. Peter Buske
Peter Buske
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