Kultur: Matthias Jacob: Tiefgründiger Klangzauberer
Internationaler Orgelsommer in der Erlöserkirche fortgeführt
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Internationaler Orgelsommer in der Erlöserkirche fortgeführt Als einziger Kirchenmusikdirektor in Potsdam ist Matthias Jacob, Organist und Kantor der Friedenskirche, nun auch für die alleinige Organisation des Internationalen Orgelsommers verantwortlich. Nun, gegen Ende des Festivals zur Huldigung der „Königin der Instrumente“, setzt der künstlerische Leiter mit seinem Auftritt einen jener Höhepunkte, die man gern dem Gedächtnis anvertraut. Bach kann er – wie jeder andere Organist auch. Auf Reger hat er sich spezialisiert – wie nur wenige andere. Letzteren lässt er diesmal unbeachtet, ersterem erweist er erneut seine Reverenz. Das überaus reizvolle Programm eröffnet er mit der kurzfristig in die Spielfolge übernommenen „dorischen“ Toccata und Fuge d-Moll BWV 538. Ohne Registrierungsmätzchen und dynamische Wechsel spielt er sie in durchgängigem Forte. Es könnte langweilig werden – wenn da nicht jene gestalterische Geisteshaltung sich Bahn bräche, die allein auf die Kraft und Macht der Musik vertraut. Helltönend verbreitet sie sich. Bewegt, fast eilend spielt er die das ganze Präludium (gleich Toccata) durchlaufenden Sechzehntel, sie in ein glanzvolles Gewand hüllend. Geradezu erhaben und den Geist erhebend erklingt die Fuge. In der Fantasia G-Dur BWV 571 vertraut Matthias Jacob ganz auf seine eigenen Eingebungen, die sich in Registrierungskünsten offenbaren, wie man sie nur selten (auch bei ihm) erlebt. Arabeskenreich erklingen die verspielten Ecksätze, während das mittelsätzige Grave majestätisch im Zungenplenum aufrauscht. Auf weitschwingenden Flügeln der Fantasie erreicht er auch den Canto sacra „Vater unser im Himmelreich“ von Samuel Scheidt (1587-1654). Schlicht, gedeckt in den Farben spielt er die introvertierte Melodie. Dann findet sie sich im schnarrenden Trompetenregister wieder, umspielt von durchdringenden Flöten. Die weiteren Verse erklingen ähnlich prägnant, beispielsweise durch die Verwendung der Oboe als achtfüßige Zungenstimme. Matthias Jacob reizt den Farbenreichtum der Orgel konsequent aus. Kaum ein Register, das er nicht zöge; kaum eine Mixtur, der er sich nicht bediente. So entstehen raffinierteste Wirkungen, die dem Stück eine staunenswerte Abwechslung des Ausdrucks verleihen. Doch der Klangzauberer und Farbenmagier kann sich noch übertreffen. Dazu erwählt er sich das Gloria aus der „Messe Solemnelle pour les paroisses“ (für die Pfarrkirchen) von Francois Couperin (1668-1733). Die Schwierigkeit ihrer Wiedergabe besteht darin, den vom Komponisten vorgeschriebenen Registrierungen zu entsprechen. Doch wenn eine Orgel beispielsweise kein Krummhorn hat? Dann ist jene Jacobsche Fantasie gefragt, die schier grenzenlos ist. Da jeder der neun „Gloria“-Verse in Form, Tempo und Farbe variiert, kann die Schuke-Orgel der Erlöserkirche zeigen, was in ihr steckt. Ein oktaviertes Trompetenregister suggeriert dudelsackähnliche Klänge und ersetzt im „Benedicimus te“ das geforderte Krummhorn. Eine Art von Kornettklang entsteht durch den Mix aus Sesquialtera und Oboe. Für das „Quoniam tu solus sanctus“ zieht er das plärrige „Vox hu-mana“-Register. Fast entsteht den Ohren der Eindruck, als spiele hier ein Kammerorchester zum Hörgenuss auf. Während es hier ganz leicht und heiter, geradewegs verspielt zugeht, geht es in der „Passacaille“ von Frank Martin (1890-1974), die 1944 entstand, tiefer und ernster zu. Im tiefsten, „grummelnden“ Pedal hebt sie an, um schwergewichtig und lastend, dissonanzengeschwängert und zerklüftet voranzuschreiten. Ein betroffen machendes Stück (das Jacob bereits im vorigen Jahr in seinem Orgelsommer-Programm hatte), dem nach apokalyptischer Zuspitzung ein verklärender Abgesang voller Hoffnung folgt, der sich effektvoll anschwellend ins Helle wendet. Durch (Kriegs)Nacht zum (Friedens)Licht – hier wird es zum Klangereignis. Peter Buske Nächstes Konzert: 10. September, 1930 Uhr in der Erlöserkirche mit Friedrich Meinel.
Peter Buske
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