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Pop-Art-Hommage. Vojnovs Adaption auf Warhols Coca-Cola-Dosen.

© A. Klaer

Kultur: Medusa auf Schmerzmitteln Vojnovs Traumwelten

in der Galerie am Jägertor

Stand:

„Der ist Bulgare!“, sagt Kornelia Tappe zu zwei Damen und weist mit einer ausladenden Geste auf die Ölgemälde, die an der Wand hängen. Anerkennend murmeln ihre Zuhörerinnen und besehen die Bilder genauer. „Den fand ich schon immer ganz toll, den hatte ich vor ein paar Jahren schon einmal ausgestellt.“ Vor ein paar Jahren – auch damals hatte Kornelia Tappe eine Galerie in der Lindenstraße. Die musste allerdings im Jahr 2006 wegen Kündigung der Räumlichkeiten schließen. Im Sommer letzten Jahres eröffnete sie dann nach sechs Jahren ohne Ausstellungsräume endlich ihre neue „Galerie am Jägertor“ – wo derzeit Arbeiten von Dimitri Vojnov zu sehen sind.

Auch wenn so manchem ein bulgarischer Künstler gar nicht so exotisch vorkommen mag – fremdartig und schön muten seine Bilder in jedem Fall an. Meistens in Öl, gelegentlich mit Pastellkreide, bildet Vojnov seine Traumwelten ab – explodierend vor Farben, figürlich und immer etwas von der Realität entrückt. Dürers Feldhase und Kastanien, Frauen, Wolkenhimmel und Zitronen, all das vermengt sich bei Vojnov zu einem begeisterten Reigen. Die Übernatürlichkeit der Gitarre mit Zopf, des schwebenden Kaffeegeschirrs oder des Frauenkörpers ohne Brüste, der sich sehnig in seinem altmodischen Schwimmeranzug streckt, lassen nur einen Schluss zu: Vojnov ist ein zeitgenössischer Vertreter des Surrealismus.

Dieser Kunststil etablierte sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in Deutschland und Frankreich und fand seinen Höhepunkt bereits Mitte der 1920er-Jahre. Heute ist er für ein breites Publikum die attraktivste unter den Avantgarde-Bewegungen des 20. Jahrhunderts. Nicht umsonst sind die Bilder Salvador Dalís auch in Kreisen bekannt, die sonst eher nicht als kunstinteressiert gelten. Die Erforschung des Unterbewusstseins durch Malen von Seelenzuständen, die fantastischen und gleichzeitig verständlichen Traumlandschaften faszinieren sowohl Betrachter als auch Maler. Um Versuchung und Sehnsucht, um Schmerz und Trieb kreisen auch Vojnovs Bilder: Früchte brechen auf und vergehen, Frauen sind die Augen verbunden, Fenster öffnen den Blick in die Ferne. Doch haben Vojnovs Bilder nichts Apokalyptisches – stehts tragen seine Figuren ein Lächeln auf den Lippen und wischen das Unbehagen des Betrachters fort.

Doch wie ist hier das „Kluge Mädchen“ mit ihrem Hut aus den Titelblättern großer Tageszeitungen einzuordnen? Wie kann die Medusa mit der blauweißen Pille auf der Zunge, die einen italienischen Jüngling von hinten überfällt, gedeutet werden? Ganz einfach: Dimitri Vojnov hat das Prinzip der Avantgarden durchschaut. Um etwas Neues zu erfinden, braucht es die Reibung, den Vergleich mit dem Traditionellen. So zitiert Vojnov Caravaggios berühmtes Gemälde „Das Haupt der Medusa“ von 1595 in all seiner Schrecklichkeit – lässt die Medikamente schluckende Medusa aber hier ihren eigenen Schöpfer verschlingen. Das „Kluge Mädchen“ mit dem Zeitungshut indes ist eine Anleihe bei der traditionellen Porträt-Malerei, die die Dargestellten mit Attributen abbildet, die Hinweise auf ihre Persönlichkeit geben.

Auch in seinen „Hommagen“ verarbeitet Vojnov sein kunsthistorisches Erbe. Er bildet nicht nur einwandfrei die Antlitze von Beuys, Dürer und Cranach ab – auch Elemente aus deren berühmtesten Werken fanden ihren Weg in Vojnovs Gemälde, und sogar ihren jeweiligen Pinselstrich imitiert er beinahe perfekt. Vielleicht sind es Vojnovs Kunstfertigkeit und die blühenden Farben, die seine Traumwelten so sehenswert machen. Vielleicht ist es aber auch spannend, mal etwas von einem bulgarischen Künstler zu sehen, auch wenn dieser schon seit 1986 in Deutschland lebt. Woran auch immer es liegt – die aktuelle Ausstellung in der Galerie am Jägertor macht den Besuchern in all ihrer Schönheit und Verrücktheit einfach richtigen Spaß. Linda Huke

In der Galerie am Jägertor, Lindenstraße 64, noch bis zum 16. September, mittwochs bis samstag, von 14 bis 18 Uhr

Linda Huke

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