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Kultur: Meer, Stille und viel Kaffee

Daniel Kehlmann hat mit „Die Vermessung der Welt“ den Sensationserfolg der letzten zehn Jahre geschrieben und führt seit Wochen die Bestsellerlisten an. Am Freitag um 20 Uhr liest er im Waschhaus

Stand:

Herr Kehlmann, Sie wagen sich mit charmantem Humor an deutsche Denkmäler wie Humboldt und Gauß. Immanuel Kant reagiert bei einem Besuch von Gauß nur mit „Wurst“. Hat Ihnen jemand schon einmal Respektlosigkeit vorgeworfen?

Ja, immer wieder. Am meisten habe ich mir das selbst vorgeworfen, bei der Arbeit; immer wieder habe ich mich gefragt, ob ich das eigentlich tun darf. Aber jedes Mal habe ich mich überwunden. Wenn man so etwas unternimmt, dachte ich, dann muss man es respektlos tun. Dass Kant „Wurst“ sagt, das ist allerdings nicht respektlos. Kant war zu dieser Zeit schwer dement, das weiß man. Außerdem sagt er „Wurst und Sterne“. Das ist eine seltsame, poetische Aussage; aber keine, mit der ich ihn veralbern würde.

Wann sind Sie zum ersten Mal auf die Idee gekommen, zwei Säulen der deutschen Naturwissenschaften aufeinander treffen zu lassen?

Als ich zufällig las, dass Gauß 1828, zum Zweiten Deutschen Naturforscherkongress, Humboldts Hausgast war. Ich habe mir die beiden zusammen beim Frühstück vorgestellt. Von diesem Bild aus hat sich alles entwickelt.

Die Naturwissenschaften gelten als kalter Gegenpol zum Schöngeistigen, an dem nur die Fakten zählen. Wie viel mussten Sie recherchieren und studieren, um Humboldts Reisen am Amazonas oder Gauß'' mathematischen Abhandlungen so scheinbar locker in ihre Geschichte einfließen zu lassen?

Sehr viel. Ich habe etwa ein Jahr lang keine Bücher über andere Themen als die meines Romans gelesen. Am schwersten war allerdings die Recherche in Mathematik. Das waren wirklich scheußliche Nachmittage!

Machen Sie sich über die Naturwissenschaften und ihre Protagonisten nicht lustig?

Nein. Ich mache mich über viel lustig, aber gerade das Wissenwollen, der Antrieb zur Forschung, wird bei mir nicht ironisiert. Diesen Antrieb, in seinem ganzen absurden Idealismus, bewundere ich wirklich.

Wie reagieren Fachwissenschaftler auf Ihren Text?

Bisher äußerst positiv. Ein paar haben mir gesagt, hier wäre wirklich die Funktionsweise der Wissenschaft, der Mechanismus des wissenschaftlichen Denkens eingefangen. Ich bekomme viele Briefe von Fachwissenschaftlern, aber bisher war keine negative Rückmeldung darunter. Kleine fachliche Korrekturen schon, – aber auch die im Geist großer Sympathie und Zustimmung. Das bedeutet mir sehr viel.

Humboldt wird als rastloser Entdecker, Gauß als kauziger, stets nörgelnder, genialischer Denker dargestellt, der am liebsten zu Hause bliebe. Warum ist diese Gegensätzlichkeit so wichtig?

Weil es letztlich die beiden Grundvarianten der Freiheit sind: Denken und Reisen, Freiheit der Bewegung und Freiheit des Geistes. Eine Gegensätzlichkeit, die auf die eine oder andere Art jeder Mensch in sich spürt.

Kann es sein, dass Ihnen Gauß – auch in seiner Methodik – näher steht? Er denkt am Schreibtisch, seine Abenteuer erlebt er Zuhause.

Allerdings. Ich glaube, das würde für jeden Schriftsteller gelten. Aber Humboldt – ich sage das immer wieder in den letzten Wochen, weil es mir wirklich wichtig ist – ist der nettere Mensch der beiden, der, der sich ehrlich bemüht, alles richtig zu machen. Dass es ihm, gerade den Mitmenschen gegenüber, so selten gelingt, daraus entsteht viel von der traurigen Komik des Buchs.

Ihr Buch hat sich mittlerweile mehr als 400 000 mal verkauft. Ein sensationeller Erfolg. Sie sind gerade 31 Jahre alt. Auch Gauß war noch nicht 30 Jahre alt, als er sein Hauptwerk die „Disquisitiones“ beendete. Haben Sie in Gauß auch Ihr eigenes Leben gesehen?

Nein, wirklich nicht. Kein Mathematiker hat jenseits der Dreißig Bedeutendes geleistet. Die meisten Künstler haben jenseits der Dreißig erst richtig angefangen. Ich hoffe, das wird auch für mich gelten. Aber wer weiß! Im Zweifelsfall ist es wohl besser, mit fünfundzwanzig die Disquisitiones geschrieben zu haben und nachher Zeit mit Nebensächlichem zu verbringen, als sein Leben lang Mittelmaß zu produzieren. Doch wie gesagt, ich hoffe, dass beide Varianten für mich nicht gelten. Außerdem sind die Disquisitiones ein Jahrtausendwerk; mit denen lässt sich kein Roman vergleichen, meiner schon gar nicht.

Kritiker und Leser gleichermaßen lieben Ihr Buch. Sehen Sie selbst Schwächen? Wo hätten Sie „besser“ sein wollen?

Ganz ehrlich: Das Buch sieht wirklich so aus, wie ich es mir vorgestellt habe, als ich mit dem Schreiben daran anfing. Das ist mir noch nie passiert, und ich bezweifle, ob es mir je wieder passieren wird. Nach meinem Gefühl ist dieser Roman ganz rund und in sich abgeschlossen. Ich würde gar nichts daran ändern. Das bedeutet aber auch, dass ich zukünftig nicht wirklich daran anknüpfen kann. Ich werde jetzt ganz andere Dinge schreiben müssen. Und ich will das auch.

„Die Vermessung der Welt“ schrieben Sie z.T. in Griechenland, mit Blick auf das Meer. Welche materiellen und ideellen Voraussetzungen sind unbedingt nötig, damit Sie schreiben können?

Es war nicht Griechenland, sondern Spanien. Und einen Großteil habe ich auch auf Sylt geschrieben. Die Voraussetzungen zum Schreiben? Ein Meer in der Nähe schadet nicht. Dazu ein großer Schreibtisch, Stille, viel Kaffee. Etwas Musik. Und ein Bankkonto, an das man ohne Sorge denken kann, schadet natürlich nicht. Auch das fördert die innere Ruhe immens.

Verbindet Sie etwas mit Potsdam? Humboldt reiste als Preußischer Abgesandter.

Noch nicht, ich war erst zweimal hier, eigentlich als Tourist. Aber was nicht ist, kann noch werden.

Könnten Sie beschreiben, mit welchem Gefühl Sie Ihren Erfolg wahrnehmen?

Überraschung, leichte Verwirrung und viel Freude.

Das Interview führte Matthias Hassenpflug.

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