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Strenger Blick am Stehpult. Aber nur, wenn man Carsten Wist nach Büchern von Dieter Bohlen fragt.

©  Andreas Klaer

Von Dirk Becker: Mehr als nur gute Bücher

Seit 20 Jahren bietet Carsten Wist Literatur in vielen Formen – Heute beginnt seine Jubiläumsfeier

Stand:

Natürlich könnte hier am Anfang Erica Jongs „Angst vorm Fliegen“ stehen. Das Buch, das 1973 erschienen ist, schon bald zum Klassiker der weiblichen erotischen Literatur ernannt wurde und von dem weltweit mittlerweile über 15 Millionen Exemplare verkauft wurden. Denn „Angst vorm Fliegen“ war das erste Buch, das Carsten Wist am 2. Juli 1990 als Buchhändler in Potsdam verkauft hat. Ein fliegender Buchhändler damals noch, der mit seinem Geschäftspartner Siegfried Ressel, klein und pragmatisch angefangen hat: Mit einem Büchertisch auf der Brandenburger Straße. Genauso gut könnte hier aber auch mit der Lesung von Klaus Schlesinger aus „Fliegender Wechsel. Eine persönliche Chronik“ begonnen werden. Das Jahr wäre dasselbe: 1990. Der Ort mit Potsdam auch. Und wie bei Erica Jongs „Angst vorm Fliegen“ müsste auch hier die Rede vom ersten Mal sein. Denn der Besuch von Schlesinger war der erste eines Schriftstellers auf Einladung von Carsten Wist und Siegfried Ressel in Potsdam, um hier aus seinem Buch zu lesen und sich den Fragen der Zuhörer und der Gastgeber zu stellen. Dass Schlesinger in Potsdam ein Buch vorstellte, das wie bei Erica Jong das Fliegen im Titel trug, war dem Zufall geschuldet. Aber ein schöner Einstieg wäre diese Gemeinsamkeit allemal. Wenn man denn mit der Zeit vor 20 Jahren beginnen möchte.

Doch wir bleiben im Hier und Jetzt, wo Carsten Wist, Buchhändler, Literaturliebhaber und unermüdlicher Schriftsteller-in-die-Stadt-Holer, am heutigen Mittwoch mit den Feierlichkeiten für sein 20-jähriges Ladenjubiläum beginnt. Wobei Feierlichkeiten nicht das richtige Wort ist. Denn Carsten Wist würdigt die 20 Jahre mit 20 Lesungen, von denen nur für vier die Schriftsteller Annika Reich und Katharina Hacker, Clemens Meyer und Fritz J. Raddatz gebucht wurden. Den Rest übernehmen Freunde und Angestellte, die in den kommenden vier Wochen kurze Vorleseeinblicke in das Werk ihrer Lieblingsschriftsteller geben. Den Auftakt macht der Hausherr heute Abend selbst, wenn er das erste Kapitel aus Christoph Ransmayrs Roman „Die letzte Welt“ liest.

Wer sich mit Carsten Wist verabredet, wählt als Treffpunkt fast immer seinen kleinen Laden in der Brandenburger Straße. Seit 1991 verkauft Carsten Wist hier Bücher; bis 2001 zusammen mit Siegfried Ressel, der danach eine neue Herausforderung suchte. Zwei Jahre, von 2001 bis 2003, allerdings war Pause mit den Büchern in der Brandenburger Straße. „Aber das Gewerbe hatte ich nicht abgemeldet und mit einem Büchertisch war ich in dieser Zeit immer wieder präsent“, sagt Wist über diese Zeit, in der er als persönlicher Referent des damaligen Intendanten am Hans Otto Theater, Ralf-Günter Krolkiewicz, tätig war. Also seien die 20 Jahre Jubiläum keine Mogelei, denn der Büchertisch sei ja bis heute Bestandteil seiner Bücherliebe. Als Krolkiewiczs Abschied immer näher rückte, fragte sich Carsten Wist, wie es dann mit ihm weitergehen sollte. Und egal wie er es auch drehte und wendete, am Ende seiner Überlegungen stand dann doch immer wieder dieser eine Satz: „Das ist einfach meins!“

Also wieder den Literaturladen in der Brandenburger eröffnet, der schon nach kurzer Zeit wie das zweite Wohnzimmer von Carsten Wist und den Potsdamern geworden war, die Literatur und damit verbunden anregende Gespräche zu schätzen wissen.

Wer sich also mit Carsten Wist verabredet, der trifft sich hier. Und er ist es gewohnt, dass er gelegentlich warten muss, denn Carsten Wist, so scheint es, ist ständig unterwegs. Doch die Zeit in diesem kleinen Laden wird einem nicht lang. Da sind die Bücher, deren Inhalt durchweg als anspruchsvoll bezeichnet werden kann. Was von den führenden Literaturkritikern und -zeitschriften gerade besprochen wurde, findet sich hier oft wieder. Und sollte ein Besucher doch einmal nach Büchern von der Art fragen, wie sie von Dieter Bohlen verfasst wurden, dann wird es ihm ergehen, wie dem älteren Herren, der erst kürzlich in den Laden kam und fragte, ob er hier Heimatromane bekomme. Seine Frau liebe diese Dinger so sehr.

„Nein, das führen wir nicht“, ist die Antwort, die in solchen Fällen zu hören ist. Nicht unfreundlich, nicht arrogant, aber bestimmt.

„Das ist der Anspruch. Für jedes Buch, das im Literaturladen ausliegt, auch eine Begründung nennen zu können, warum wir es verkaufen“, sagt Carsten Wist. Und nicht nur, weil es sich gut verkaufe, fügt er einen Moment später hinzu. Die Idee hinter seinem Literaturladen, der nicht einfach nur ein Buchladen sei, ist das Zusammenbringen von Menschen. „Die“, sagt Carsten Wist, „die zum Glück immer noch gute und anspruchsvolle Bücher schreiben. Und die, die bereit sind, sich darauf einzulassen.“ Dann zählt er ein paar der Namen auf, die schon in seinem Laden gelesen haben. Paul Auster, Ralf Rothmann, Cees Noteboom, Jurek Becker, Wolfgang Hilbig, Christa Wolf und mit Toni Morrison und Herta Müller auch zwei Literaturnobelpreisträgerinnen.

Da erinnert man sich selbst wieder an den Besuch von Herta Müller im April vor sechs Jahren, als diese zierliche, fast schon zerbrechlich wirkende Frau dort, im Obergeschoss des Literaturladens, vor einer kleinen Gruppe von Zuhörern aus „Der König verneigt sich und tötet“ las. In diesem Jahr war Herta Müller, nunmehr als Literaturnobelpreisträgerin, wieder nach Potsdam gekommen und las auf der Terrasse der Villa Quandt vor über 500 Zuhörern.

„Eigentlich sollte man viel öfter solche Jubiläen feiern“, sagt Carsten Wist, der mit dem „Kleinen Hei“ auch einen eigenen Literaturpreis geschaffen hat. Denn in der damit verbundenen Rückschau werde einem mal wieder bewusst, wie schön, trotz aller damit verbundenen Anstrengungen, dieses Leben sei. Und für den regelmäßigen Besucher dieser Lesungen oder des Literaturladens ist es auch ein guter Zeitpunkt, einmal Rückschau zu halten um festzustellen, wie dankbar man diesem Literaturbesessenen Carsten Wist für das, was er in dieser Stadt immer wieder organisiert, doch sein kann.

www.wist-derliteraturladen.de

Dirk Becker

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