Kultur: Mehr als nur Hiphop
„Tales of the Funky B-Boys & B-Girls“ in der fabrik Potsdam
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Es wird sie geben, diese spektakulären Aktionen. Körper, die sich verbiegen, vom Rhythmus gepeitscht. Akrobatisches, das der Schwerkraft zu trotzen scheint und dabei so leichthändig daher kommt. Wenn heute Abend in der fabrik die „Tales of the Funky B-Boys & B-Girls“ zum ersten Mal in Potsdam erzählt werden, ist getanzter Hiphop in Reinkultur zu erleben. Doch was der Berliner Choreograph Christoph Winkler in 110 Minuten auf der Bühne erzählen lässt, wird weit mehr sein als diese getanzte Atemlosigkeit.
In seiner Agentur für zeitgenössischen Tanz erlebt Winkler seit Jahren junge Leute, die vom Hiphop kommen, wie er es nennt. Diese vom Sprechgesang, treibenden Bässen und Schnipseln aus allen möglichen Stilen zusammengesetzte Musik, die sich für die ältere Generation vor allem als heilloser Krach und in Form von Jugendlichen mit viel zu großen Hosen präsentiert. Christoph Winkler, der in der Vergangenheit mit seinen Stücken wie „Dance Celebration“ und „Das letzte Duett“ im zeitgenössischen Tanztheater für Aufmerksamkeit sorgte, faszinierte diese eigenwillige Körpersprache. Im März entschied er sich, ein Stück zu erarbeiten, das die engen Grenzen des Hiphop überwinden und mit den Möglichkeiten des zeitgenössischen Tanztheaters verbinden sollte. Sechs Tänzerinnen und Tänzer, darunter drei aus Potsdam, und einen Schauspieler konnte er dafür gewinnen. Am 18. Oktober hatte „Tales of the Funky B-Boys & B-Girls“ in Berlin Premiere.
„Es geht darin um Lebenswirklichkeiten“, sagt Winkler gestern in einem Gespräch, bei dem er regelmäßig vom Sofa aufspringt, um Tanzschritte oder Bewegungen zu zeigen, die sich schwer beschreiben lassen. Hiphop zu tanzen, das sei eine Lebenseinstellung. Doch keine Glorifizierung wolle er betreiben. Wo stehe ich und wo gehe ich hin – davon handelt „Tales of the Funky B-Boys & B-Girls“. In Dialogen, Schauspiel, Tanz und Filmausschnitten werden Lebensentwürfe präsentiert, in denen die Musik, der Tanz Hauptrollen spielen. Zwei der „Performer“, wie Winkler sie nennt, denn „Tänzer“ würde zu eng greifen, haben an bekannten Castingshows im Fernsehen teilgenommen. Ausschnitte aus diesen Shows werden gezeigt und mit der Wirklichkeit konfrontiert. Wie die Musik im Hiphop zusammengesetzt ist aus allen möglichen Einzelteilen, so ist auch „Tales of the Funky B-Boys & B-Girls“ wie ein Collage aus vielen Teilen aufgebaut. Ein Stück, in dem es nachdenkliche Momente geben wird, in dem aber auch genug gelacht werden kann, wie Winkler versichert.
Was die Verbindung von Hiphop und zeitgenössischem Tanztheater betrifft, hat Frankreich längst eine Vorreiterrolle eingenommen. In Deutschland dagegen sind die Grenzen noch klar definiert. Christoph Winkler sieht Gründe dafür im traditionellen Gestus des Hiphop, der vor allem etwas mit Identifikation und Ehre zu tun habe und sich schwer tue, sich dem Improvisieren und Zeigen von eigenen Gefühlen wie im zeitgenössischen Tanz zu öffnen. Es gebe klare Regeln beim Hiphop, die sich fast immer über den Wettkampf, die „Battle“, definieren. Zwei oder mehrere Gegner, die sich tanzend zu überbieten versuchen. Diese starre Struktur bricht Wagner in „Tales of the Funky B-Boys & B-Girls“ auf.
Die Bühne als eine einzige Möglichkeit begreifen und nicht nur auf ein Gegenüber fixiert sein, Gefühl zeigen, sich hinterfragen, die Möglichkeit zu scheitern einbeziehen und vor allem über sich lachen zu können, seinen „Performern“ haben sich so viele neue Möglichkeiten eröffnet. Manchmal auch von der einfachsten Art. „Wir haben sie gezwungen, Pausen zu machen, einfach mal stillzustehen“, sagt Winkler. Und irgendwann habe einer gesagt: Mensch, wir müssen beim Hiphop einfach nur öfter Pausen machen, schon bekommt das Ganze mehr Spannung.
Christoph Winkler sieht ein großes Potenzial im Hiphop. Schon vor 20 Jahren wurde diese neue Bewegung im Tanz gefeiert und darin die Zukunft prophezeit. Doch die hohen Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. „Aber jetzt ist da was in Bewegung“, sagt Winkler. Der Hiphop entfernt sich wieder vom allzu Akrobatischen im Tanzen, der ihn in den vergangenen Jahren geprägt hatte. Er lasse sich wieder mehr von der Musik treiben, sei organischer und spontaner. Und auch gegenüber anderen Stilen sei vor allem die jüngere Generation offen. „Da gibt es nicht diese Berührungsängste.“ Und nur dort, wo Berührungsängste fehlen, entsteht Neues. Wie das aussehen kann, werden Christoph Winklers B-Girls und B-Boys – das „B“ steht für „break“ – in der fabrik zeigen. Dirk Becker
„Tales of the Funky B-Boys & B-Girls“ ist heute Abend und am morgigen Samstag, jeweils um 20.30 Uhr in der fabrik Potsdam auf dem Gelände der Schiffbauergasse zu sehen. Am Sonntag, 4. November, wird das Stück um 16 Uhr aufgeführt. Karten für 3, 7 und 10 Euro können bestellt werden unter Tel: (0331) 240 923.
Dirk Becker
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