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„Metaphern kann man nicht in Fesseln legen.“ Varujan Vosganian (l.) und sein Übersetzer Ernest Wicher im Lepsiushaus.

© Ulrich Rosenau/LHP

Kultur: Mehr als nur Rückkehr

Varujan Vosganian stellte im Lepsiushaus seinen Roman „Das Buch des Flüsterns“ vor

Von Sarah Kugler

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Melodisch fremd klingt es, wenn Varujan Vosganian auf Rumänisch liest. Melodisch fremd und irgendwie doch so viel richtiger, so viel präziser, so viel angemessener. Ist doch sein Roman „Das Buch des Flüsterns“ in eben dieser Sprache geschrieben. Einer Sprache, der ein Kenner der romanischen Sprachen sogar die ein oder andere Wortbedeutung entlocken kann. Und einer Sprache, die in der Simultanübersetzung so manche Schwierigkeiten aufwirft, wie man an den leise geflüsterten Reaktionen der anwesenden Muttersprachler heraushört.

Am Montagabend stellte Varujan Vosganian seinen Roman „Das Buch des Flüsterns“ zusammen mit dem Übersetzer Ernest Wicher im Lepsiushaus Potsdam zum ersten Mal in deutscher Sprache vor, ließ es sich dabei aber nicht nehmen, einzelne Passagen auch auf Rumänisch zu lesen. Das war wichtig und nötig, um seinen Roman besser verstehen zu können. Um sich einzufühlen in die weitgehend fremde Kultur, in die einzigartige Stimmung des Buches.

Vosganian wurde in Rumänien geboren, hat aber armenische Vorfahren, die zu den Überlebenden des Völkermordes in den Jahren 1915 und 1916 gehörten. Er ist von Hause aus Wirtschaftswissenschaftler und war unter anderem Mitglied der rumänischen Abgeordnetenkammer sowie des rumänischen Senats. Außerdem war er Finanz- und Wirtschaftsminister und ist Präsident der Vereinigung der Armenier in Rumänien.

„Das Buch des Flüsterns“ (Zsolnay Verlag, 26 Euro) ist sein erster ins Deutsche übersetzter Roman. Er erzählt die Geschichte des aus der Heimat vertriebenen armenischen Volkes anhand einzelner Personen und in vier verschiedenen Zeitsträngen. Da ist Sahag, der von seiner Mutter für einen Sack Mehl verkauft wurde, und Siruni, die von den Russen nach Sibirien deportiert wurde. Und da ist Großvater Garabet, der die Fäden dieser so wunder- wie grausamen Saga zusammenhält. All diese verschiedenen Schicksale scheinen sich in der Stadt Foçsani, einer Provinzstadt in Rumänien, zu kreuzen. Vosganian erzählt fantastische Geschichten und die tragische Geschichte des armenischen Volkes. Alles verwebt durch eine wunderbar poetische, leicht zugängliche Sprache, die immer wieder den Umweg des Philosophischen sucht und dennoch nie den roten Faden des Erzählens verliert. Der Übersetzer Wicher, selbst in Rumänien geboren und unter anderem schon als Lyriker tätig gewesen, schafft es, dieser Sprache ein adäquates deutsches Gewand anzuziehen. Nichts klingt gestelzt, nichts holprig, jede Metapher sitzt dort, wo sie sein soll, und alles fließt in einen großen historisch-literarischen Text zusammen.

Der Autor selbst sieht den Roman allerdings nicht als Geschichtsbuch. Wie er während des sich an die Lesung anschließendes Publikumsgespräches betonte, habe er zwar sehr lange recherchiert und auch mit Überlebenden des Völkermordes gesprochen, sich aber ganz bewusst für die literarische Form und gegen die historische Abhandlung entschieden. „Das Buch ist schon eine Rückkehr in die Vergangenheit“, sagte er. „Aber bei uns Armeniern ist das Gedächtnis und damit die Vergangenheit auch immer ein Teil der Gegenwart und sogar ein Teil der Zukunft. Und diese Bandbreite kann nur die Literatur, die Kultur beschreiben.“

Dieser Aspekt schien ihm sehr wichtig, betonte er doch immer wieder, dass Dichter die wahren Geschichtsschreiber wären und nur die Kultur wirklich zur Erinnerungsbildung beitrage. „Metaphern kann man nicht in Fesseln legen“, so Vosganian. „Nur der literarische Text spricht frei über die wahren Sieger und Verlierer, nicht die Geschichtsbücher.“

Das alles sagte er in seiner melodisch fremd klingenden Sprache, die sich genauso wie der Roman einbrennt in das Gedächtnis der Zuhörer, egal ob sie die Worte verstehen oder auf die Übertragung des Übersetzers angewiesen sind. Sarah Kugler

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