Kultur: Mehr als pädagogischer Eros
Mathias Iffert spielt heute „Klamms Krieg“ in der Inszenierung von Constanze Jungnickel
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Wer in einem dramatischen Gebilde „Klamm“ heisst, dem schwant in der Welt der vorbestimmten Schicksale nichts Gutes. So ist der Name des Protagonisten aus Kai Hensels bislang wohl erfolgreichsten Stück auch Programm desselben. „Klamms Krieg“ ist die ausweglose Geschichte eines zähen Kräftemessens zwischen Oberstudienrat Klamm und seinem Deutsch Leistungskurs, nachdem ein Schüler sich wegen einer schlechten Note umgebracht hat. Es erzählt jedoch auch vom Krieg Klamms gegen sich selbst. Und, wie kann es anders sein bei diesem Namen, die Gewinnchancen für die Titelfigur stehen gering. In beiden Konflikten.
Uraufgeführt im Jahr 2000 in Dresden, geriet Hensels Bühnenerstling innerhalb kürzester Zeit zu einem Bestseller. Es gab mehrere Preise, 2002 gar den Deutschen Jugendtheaterpreis. Ab heute Abend wird man nun Oberstudienrat Klamm auch wieder in Potsdam begegnen können, und zwar in der Konfliktzone, in die er gehört: im Klassenzimmer nämlich.
Aus genau diesem Grund habe sie Klamm wieder in sein Revier zurückführen wollen, sagt die Regisseurin Constanze Jungnickel: Die Schule als Umfeld, das Klassenzimmer als „Machtspielraum“, leiste für Hensels Stück etwas, das Inszenierungen in herkömmlichen Theaterräumen fehle. Für sie ist es wichtig, die Schüler in ihrem eigenen Lebens- und Arbeitsraum mit der Situation aus „Klamms Krieg“ zu konfrontieren. Insbesondere wolle sie auch Vorstellungen ohne Lehrer einrichten, um den Schülern einen „geschützten Raum“ für Diskussion über eigene Erfahrungen anzubieten. Interessant auch die Verdrehung der Rollen, wenn Lehrer im Publikum, also auf den Schulbänken, sitzen: Was passiert, wenn Lehrer sich belehren lassen müssen?
Die Produktion der Stadt-Spiel-Truppe wird in verschiedenen Schulen zu sehen sein. Der konkrete „Machtspielraum“, den Constanze Jungnickel und ihr Darsteller Mathias Iffert für die Premiere gewählt haben, ist ein Klassenzimmer der Sportschule Potsdam. Das ist kein Zufall: Mathias Iffert hat dort 1998 bis 2002 unterrichtet, und zwar neben Geschichte und Deutsch auch Darstellendes Spiel. Inzwischen arbeitet er zwar in der Lehrerausbildung, aber die Erfahrung, mehr oder minder interessierten Schülern den Sinn des Deutschunterrichts vermitteln zu wollen, hat er mit seinem Protagonisten gemeinsam. Auch das kein Zufall: Vor vier Jahren gesellte sich Iffert als Laienschauspieler zu Constanze Jungnickel in die Potsdamer Stadt-SpielTruppe. Als Jungnickel vor drei Monaten das „Klamm“-Projekt, ihre erste Regie, in Angriff nahm, lag Mathias Iffert für die Rolle des Oberstudienrats dementsprechend nahe.
Zu nahe vielleicht? Die eigene Lehrerbiografie habe es ihm zugleich leichter, aber auch schwerer gemacht, sich der Rolle zu nähern, sagt Iffert. Die Rollenmuster zwischen Lehrer und Schülern, die immer bestehende Möglichkeit zum Machtmissbrauch und auch Klamms Nazismus seien ihm vertraut gewesen. Die Dimensionen des Machtmissbrauchs aber, und sein unbedingter Drang, vor den Schülern unangreifbar zu sein, sind Iffert fremd. Wo Klamm durch Vorführung und Notenzwang die Schüler für sich gewinnen will, habe Iffert immer versucht, authentisch, aber in der Rolle des Lehrers zu bleiben. Iffert zufolge ist Klamms größter Fehler, dass er aus dem Impuls heraus, sich selbst treu zu bleiben, beständig seine Rolle als Lehrer verrate.
Bei Jungnickel und Iffert soll Klamm jedoch mehr sein als ein dem „pädagogischen Eros“ verfallener Tyrann. Beiden ist es wichtig, den Lehrer auch verletzbar, als Idealisten zu zeigen. Und zwar als Kritiker eines Schulsystems, das normalerweise von Lehrern verlange, sich bei den Schülern anzubiedern. Auch das hilflose, vielleicht mitleidige Lachen über die vielschichtige Figur ist Jungnickel wichtig. Weil der Oberstudienrat aber seine quasi-anarchische Verweigerungshaltung nur im Suff einnehmen kann, muss er „Klamm“ bleiben, gefangen in der Unmöglichkeit, die eigene Unzulänglichkeit offen zuzugeben.
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