Kultur: Mehr als Worte
Lesung aus dem Moltke-Briefwechsel
Stand:
„Vor Dir steht der Tod, vor mir das einsame Leben, in dem unsere Liebe lebendig bleiben muss.“ Als Freya von Moltke diese Zeilen am 26. Oktober 1944 an ihren Mann Helmuth James Graf von Moltke schreibt, sitzt dieser Tag und Nacht in Handschellen im Gefängnis Tegel in einer kleinen Zelle und erwartet sein Todesurteil. Der aus einer preußischen Familie stammende Wehrmachtsoffizier und Kopf der nach seinem schlesischen Gut benannten NS-Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“ wurde einen Monat zuvor aus dem Konzentrationslager Ravensbrück nach Tegel verlegt und vor dem Volksgerichtshof unter Anklage wegen Hochverrats gestellt. Die Eheleute Freya und Helmuth James von Moltke geben sich keinen Illusionen hin noch zerbrechen sie. Sie nehmen Abschied voneinander, indem sie sich fast vier Monate lang täglich Briefe schreiben, die vom evangelischen Gefängnispfarrer Harald Poelchau unter Lebensgefahr aus dem Gefängnis heraus- und dort hineingeschmuggelt werden. Stets lastet darin auch die Ungewissheit, ob es diesmal nicht letzten Zeilen gewesen sein könnten. Jäh endet diese innige Korrespondenz dann am 23. Januar 1945, der Tag, an dem Helmuth James von Moltke in Berlin Plötzensee erhängt wurde.
Dieser Briefwechsel ist beinahe vollständig erhalten geblieben. Er hat Freya von Moltke auf allen Stationen ihres noch langen Lebens begleitet. Doch erst nach ihrem Tod wollte sie diesen der Öffentlichkeit überlassen. Ihr ältester Sohn, Helmuth Caspar von Moltke, hat zusammen mit der Schwiegertochter Ulrike von Moltke dem Wunsch der Witwe entsprochen und in diesem Jahr die originalgetreuen und kompletten „Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel. September 1944 - Januar 1945“ (C. H. Beck Verlag, 29,90 Euro) als insgesamt fast 600 Seiten umfassendes Buch herausgebracht. Am morgigen Samstag werden die Münchner Schauspieler Jovita Dermota und Jochen Striebeck in der Villa Quandt diese „Abschiedsbriefe“ vorstellen.
„Abschiedsbriefe“ ist ein Buch, das man nicht liest, ohne berührt und ergriffen zu sein. Nicht Trauer überwiegt bei dieser Lektüre, sondern aufrichtige Bewunderung! Durchweg versichern sich die Eheleute ihrer inneren Verbundenheit, einer Liebe, die beiden Kraft spendet und die genauso auf den endgültigen Abschied vorbereiten hilft, wie es der christliche Glaube schafft, wenn es ihnen etwa gelingt, durch Helmuths Vorschläge Bibelstellen und Kirchenlieder gemeinsam auszuwerten, um sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Doch sind es neben der geistigen Korrespondenz besonders der normale Gefängnisalltag sowie die Geschehnisse auf dem von der unermüdlich agierenden Freya nunmehr alleine verwalteten Familiengut in Kreisau oder die von Helmuth entworfenen Verteidigungsstrategien für seinen bevorstehenden Prozess und auch seine christlich-humanistisch begründete Distanzierung vom Attentatsversuch auf Hitler vom 20. Juli; in all das bietet der Briefwechsel Einblick.
Diese „Abschiedsbriefe“ sind eine gemeinsame Vorbereitung auf den Tod einerseits und auf das Weiterleben andererseits. Es ist ein Denkmal, das dieses Dokument der Liebe zweier Menschen setzt, ein außergewöhnliches Zeitzeugnis. Selbst noch am Tag seiner Hinrichtung schreibt Helmuth James an seine geliebte Freya: „Es geht mir gut, mein Herz. Ich bin nicht unruhig oder friedlos. Nein, kein bisschen.“ Daniel Flügel
Am morgigen Samstag, 19 Uhr, Große Weinmeisterstraße 46/47. Der Eintritt kostet 12, ermäßigt 10 Euro
Daniel Flügel
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